In einem Leserbrief beklagte sich ein Privatpatient darüber, dass er von seinem Lebensgefährten getrennt werde, wenn er mit diesem gemeinsam den Hausarzt aufsuche. Er selbst werde in das Wartezimmer für Privatpatienten im Obergeschoss gebeten, während sein Lebensgefährte im Erdgeschoss das überfüllte Wartezimmer für Kassenpatienten aufsuchen müsse. Diese "Zwei-Klassen-Medizin" sei diskriminierend.
Ein Zwei-Klassen-System ist in unserer Gesellschaft vielfältig anzutreffen, beispielsweise bei Bahn- oder Flugreisen. Wer bereit ist, einen höheren Preis zu zahlen, kann den Komfort der ersten Klasse genießen: Bequemere Sitze mit größerer Beinfreiheit, eine größere Auswahl an Getränken und Speisen sowie aktuelle Zeitschriften in großer Auswahl. Die Hauptpflicht aus dem Beförderungsvertrag ist in beiden Fällen gleichwertig: Transport von A nach B. Nur die Begleiterscheinungen der Reise werden in der ersten Klasse komfortabler gestaltet.
Ebenso verhält es sich bei der medizinischen Versorgung: Ärzte und Krankenhäuser versichern glaubhaft, dass die medizinische Behandlung von Kassenpatienten sich nicht wesentlich von der Behandlung der Privatpatienten unterscheidet. Privatpatienten genießen jedoch den Komfort, dass sie bei stationärer Behandlung in Einzelzimmern untergebracht werden, bessere Wahlmöglichkeiten bei den Mahlzeiten und keine Einschränkungen bei den Besuchszeiten haben.
Auch die immer wieder hervorgehobene "Chefarzt-Behandlung" in Krankenhäusern erschöpft sich in den meisten Fällen in einem freundlichen Händedruck und der Frage nach dem Wohlbefinden, während die meisten medizinischen Behandlungen den Ober- und Assistenzärzten überlassen werden. Die Routine dieser Ärzte ist oft der Tätigkeit des Chefarztes überlegen, der nur noch gelegentlich zum Skalpell greift.
Etwa 11 Millionen Versicherte verfügen über eine private Krankenversicherung. Die privaten Krankenversicherungen zahlen jährlich rund 5 Millionen Euro an Arzthonoraren, etwa 25 % des Ärzteeinkommens. Die Leistungen der privaten Krankenversicherer tragen dazu bei, dass die Ausstattung von Arztpraxen optimiert wird, so dass diese Einrichtungen auch den Kassenpatienten zugute kommen.
Auch die immer wieder beklagte Wartezeit für Termine bei Fachärzten würde sich nicht verbessern, wenn weitere 11 Millionen Versicherte Kassenpatienten werden, die Wartezeiten würden allenfalls länger, da Privatpatienten oft außerhalb der üblichen Sprechstunden behandelt werden.
Die gepriesene Bürgerversicherung nützt somit weder den Kassen- noch den jetzigen Privatpatienten, die sich gesetzlich versichern müssten.
Wenn eine Angleichung stattfinden soll, dann allenfalls im umgekehrten Verhältnis, also eine Vergütung durch die gesetzliche Versicherung, die in etwa der Vergütung der privaten Krankenversicherung entspricht. Es ist mit rechtsstaatlichen Grundsätzen nicht vereinbar, dass die medizinische Versorgung von Kassenpatienten auf ein Budget beschränkt wird, bei dessen Überschreitung der Kassenpatient nicht oder ohne Vergütung vom Kassenarzt behandelt wird.
Der designierte Gesundheitsminister Jens Spahn hat sich bereits unmissverständlich gegen eine Bürgerversicherung ausgesprochen. Er favorisiert den – richtigen – Weg, die Arzthonorare in der gesetzlichen Krankenversicherung nach Möglichkeit der Honorierung in der privaten Krankenversicherung anzugleichen.
Der Leserbriefschreiber, der sich über die angebliche "Zwei-Klassen-Medizin" beklagt hat, hätte die vermeintliche Diskriminierung einfach dadurch beseitigen können, dass er neben seinem Lebensgefährten im Wartezimmer für Kassenpatienten hätte Platz nehmen können. Sein Ziel war jedoch ein anderes: Der Privatpatient wollte, dass sein Lebensgefährte ebenfalls als Privatpatient behandelt wird.
Dieses Bild wird auch von den Befürwortern der Bürgerversicherung vermittelt. Durch eine Bürgerversicherung würden alle Kassenpatienten zu Privatpatienten. Das gegenteilige Ergebnis wird erzielt: Wenn auch die Privatversicherten Kassenpatienten werden, haben wir zwar eine "einklassige" Krankenversicherung, aber keineswegs eine erstklassige.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln
ZAP F., S. 265–266