I. Vorbemerkung

Der schlimmste aller Fehler ist, sich keines Fehlers bewusst zu sein und: Wer einen Fehler gemacht hat und ihn nicht korrigiert, begeht einen zweiten. Diese sprichwörtlichen Weisheiten, die Thomas Carlyle und Konfuzius zugeschrieben werden, haben im schnelllebigen Arbeitsrecht große Bedeutung, da es an potenziellen Fehlerquellen nicht mangelt und auch scheinbar bekannte, zum Kernbereich gehörende Rechtsthemen, wie etwa die Abfindung und ihre rechtliche Gestaltung, nach wie vor höchst fehler- und störfallanfällig sind. Diesen Fehlerquellen und ihrer "Behandlung" geht der folgende Beitrag nach.

II. Anspruch auf Zahlung einer Abfindung

Eine in der Beratungspraxis immer wieder auszuräumende, grundlegende Fehlvorstellung ist die Auffassung des Mandanten, ihm stehe ein genereller (gesetzlicher) Abfindungsanspruch im Fall einer Kündigung zu. Gesetzliche und vertragliche Abfindungsansprüche bestehen stattdessen nur in den folgenden Fällen:

  • § 1a KSchG: Abfindung im Zusammenhang mit betriebsbedingter Kündigung bei Nichterhebung einer Kündigungsschutzklage;
  • §§ 9,10 KSchG: Abfindung nach arbeitsgerichtlichem Auflösungsurteil;
  • § 113 BetrVG: Sozialplanabfindungsanspruch oder Nachteilsausgleichsanspruch;
  • Tarifvertraglicher Abfindungsanspruch (Tarifsozialplan, Rationalisierungsschutztarifvertrag);
  • Abfindungsanspruch auf der Grundlage einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung;
  • Vertraglicher Abfindungsanspruch im Arbeitsvertrag, im Abwicklungs- oder Aufhebungsvertrag, im Dienstvertrag von Geschäftsführer oder Vorstandsmitglied (Change of Control Klauseln ggf. unter Berücksichtigung der Vorgaben des Deutschen Corporate Governance Kodex);
  • Ausnahmefall – Abfindung aus Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. BAG, Urt. v. 25.2.2010 – 6 AZR 911/08, NZA 2010, 561 – "Ausnahme älterer Arbeitnehmer vom Personalabbau"): Vom Grundsatz her gilt, dass der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz keine Anwendung findet, wenn ein Arbeitgeber mit Arbeitnehmern individuelle Vereinbarungen über die Aufhebung eines Arbeitsverhältnisses unter Zahlung von Abfindungen trifft. Dies gilt auch dann, wenn die Abfindungen dem Grunde und der Höhe nach in einer Betriebsvereinbarung oder in einem vom Arbeitgeber aufgestellten Regelungsplan festgelegt sind (vgl. auch BAG, Urt. v. 17.12.2009 – 6 AZR 242/09, NZA 2010, 273; Urt. v. 18.9.2007 – 9 AZR 788/06, AP § 307 BGB Nr. 29 "arbeitsrechtlicher Gleichbehandlungsgrundsatz bei Altersteilzeit bei fehlendem sachlichen Differenzierungsgrund").

III. Entstehung des Abfindungsanspruchs

Eine Abfindung entschädigt den Arbeitnehmer für den Verlust des Arbeitsplatzes und des sozialen Besitzstands sowie für dadurch entgangene oder zukünftig entgehende Einnahmen, vgl. § 24 Nr. 1 EStG (vgl. weiterführend Beck Personal-Lexikon, Ed. 23 2019: Holthausen, Aufhebungsvertrag/Abfindung). Der Abfindungsanspruch entsteht grundsätzlich mangels anderer Absprachen der Parteien mit dem Abschluss der (Aufhebungs-)Vereinbarung bzw. des gerichtlichen Vergleichs. Dass Ausnahmen die Regel bestätigen, zeigt sich etwa bei Abfindungsansprüchen im Bereich der Altersteilzeit, wenn Tarifverträge bestimmen, dass der bei einem Ausscheiden vor Vollendung des 65. Lebensjahres an sich vorgesehene Abfindungsanspruch nicht entsteht, wenn der betroffene Arbeitnehmer bereits in unmittelbarem Anschluss an die Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses ungeminderte Altersrente beziehen kann (vgl. BAG, Urt. v. 27.2.2018 – 9 AZR 430/17).

 

Praxishinweis:

Man sollte sich bei der vertraglichen bzw. vergleichsweisen Gestaltung stets die nötige Mühe machen, rechtssicher zu bestimmen, welche Anspruchsgrundlage den Anspruch auf Zahlung der Abfindung begründet und wann sie ihn entstehen lässt (zur Fälligkeit des Anspruchs vgl. nachstehend VII.). Verletzt man diese Obliegenheit, sind Differenzen bei der Auslegung und sich daran anschließenden Streitigkeiten vorprogrammiert.

Das zeigt etwa die Rechtsprechung zu § 1a KSchG, wenn der Zweite Senat feststellt: "Zwar schließt es die Vorschrift des § 1a KSchG nicht aus, dass der Arbeitgeber eine Abfindung auf anderer Grundlage verspricht oder sich darauf beschränkt, im Kündigungsschreiben rein deklaratorisch auf kollektivrechtliche Bestimmungen zu verweisen, aus denen ein Abfindungsanspruch bei Verlust des Arbeitsplatzes folgt. Der Wille des Arbeitgebers, ein von der gesetzlichen Vorgabe abweichendes Angebot unterbreiten zu wollen, muss sich aber aus dem Kündigungsschreiben eindeutig und unmissverständlich ergeben. Enthält dieses einen vollständigen Hinweis nach § 1a Abs. 1 S. 2 KSchG, spricht dies für einen Anspruch des Arbeitnehmers nach § 1a Abs. 2 KSchG" (BAG, Urt. v. 19.7.2016 – 2 AZR 536/15).

IV. Anrechnungstatbestände

Wirksame Anrechnungstatbestände dienen der Vermeidung von Doppelzahlungen und haben insbesondere große Bedeutung in Bezug auf Sozialplanabfindungen und ihre Anrechnung auf anderweitige Abfindungsansprüche. Dabei ist zu beachten, dass sich Ansprüche auf Abfindung nicht per se verdrängen bzw. überschneiden und nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine automatische Anrechnung stattfindet (vgl. BAG, Urt. v. 19.7....

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