Vor dem 2. Untersuchungsausschuss im Bundestag ("Pkw-Maut") haben Sachverständige Mitte Januar die Vorgänge rund um die gescheiterte Infrastrukturabgabe für Personenkraftwagen juristisch kontrovers beurteilt. In einer öffentlichen Zeugenvernehmung von Sachverständigen blieb insb. die Frage strittig, ob das Bundesverkehrsministerium bereits vor dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Juni 2019 (vgl. dazu ZAP EN-Nr. 479/2019) hätte vermuten können, dass die Pkw-Maut als nicht vereinbar mit dem europäischen Recht eingeschätzt würde.
Dabei vertrat Prof. Dr. Friedemann Kainer von der Universität Mannheim die Ansicht, es hätten gute Gründe bestanden, die Maut nicht als diskriminierend einzuschätzen. Der EuGH hatte das Maut-Gesetz für rechtswidrig erklärt, da es Ausländer benachteilige. Gemäß dem Gesetz sollten zwar sowohl in- als auch ausländische Fahrzeughalter die Maut bezahlen müssen; inländischen Haltern wäre jedoch im Gegenzug die Kfz-Steuer mindestens i.H.d. Mautgebühr erlassen worden. Kainer argumentierte, es sei europarechtlich zwar nicht zulässig, Ausländer zu diskriminieren. Sehr wohl erlaubt sei es aber, eine Diskriminierung von Inländern auszugleichen. Kainer zufolge sind inländische Fahrzeughalter benachteiligt, da sie – anders als ausländische – KfZ-Steuer zahlen müssen.
Dieser Einschätzung widersprach Prof. Dr. Franz C. Mayer von der Universität Bielefeld. In der Fachwelt habe mit großer Mehrheit die Einschätzung geherrscht, dass die Pkw-Maut in der vorgesehenen Form diskriminierend und deshalb nicht mit dem Europarecht vereinbar sei, betonte Mayer. Erstaunt zeigte er sich, dass das Verkehrsministerium keine Lehren aus der gescheiterten Maut gezogen habe. Der Vorgang, so Mayer, werfe die Frage nach dem Umgang mit juristischem Sachverstand bei politischen Entscheidungen auf.
Ebenfalls zu einem juristischen Expertenstreit kam es in der zweiten Runde der mehrstündigen Zeugenvernehmung, die sich mit der Frage auseinandersetzte, ob das Verkehrsministerium gegen Haushaltsrecht verstoßen habe. Prof. Dr. Ulrich Hufeld von der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg konstatierte dabei eine "Ermächtigungslücke im Haushalt von mehr als einer Milliarde Euro". Hufeld bezog sich auf die Verpflichtungsermächtigung i.H.v. gut zwei Milliarden Euro, die der Bundestag für das Haushaltsjahr 2018 beschlossen hatte. Das reichte zwar, um das finanziell reduzierte Angebot des Betreiberkonsortiums aus CTS Eventim und Kapsch TrafficCom abzudecken. Hufeld zufolge waren durch die Verpflichtungsermächtigung aber weder die variablen Vergütungen der Betreiber noch die Garantiezusagen im Fall der – dann tatsächlich eingetretenen – Kündigung des Vertrags aus ordnungspolitischen Gründen gedeckt.
Diese Interpretation stellte Prof. Dr. Christoph Gröpl von der Universität des Saarlandes in Zweifel. Er ließ durchblicken, dass er die Verpflichtungsermächtigung für ausreichend hält. Zudem sei keineswegs ausgemacht, dass das Konsortium Anspruch auf den entgangenen Gewinn für die gesamte Vertragslaufzeit habe.
Auch in Bezug auf das Vergaberecht prallten unterschiedliche Einschätzungen aufeinander. Dr. Marco Nunez Müller von der Kanzlei Chatham äußerte erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens. Insbesondere sei es unzulässig gewesen, nach Abgabe des finalen Angebots durch das Bieterkonsortium noch einmal über dieses Angebot zu verhandeln. Die gegenteilige Ansicht vertrat Dr. Jan Endler von der Kanzlei Linklaters: Da nur ein einziges finales Angebot abgegeben worden sei und die Mindestanforderungen des Beschaffungsgegenstands nicht verändert worden seien, sei es nicht erforderlich gewesen, auch diejenigen Bieter wieder in die Verhandlungen einzubeziehen, die sich zuvor zurückgezogen hatten.
[Quelle: Bundestag]