Den Kritikern des Fairness-Gebots ist nicht zu folgen. Anderenfalls könnte das Zustandekommen eines Vertragsverhältnisses ausschließlich anhand der Vorschriften der §§ 105, 123, 134, 138, 307 ff. BGB geprüft werden. Zum einen beschäftigen sich diese Normen überwiegend mit dem Inhalt zustande gekommener Verträge und nur teilweise mit dem Verhandlungsprozedere. Zum anderen verfängt der dogmatische Verweis nicht, dass ein Wegfall einer Willenserklärung nur in den gesetzlichen Ausnahmefällen der o.a. §§ infrage kommt. Denn diese Wirkung der direkten Unwirksamkeit der Willenserklärung, die die genannten Vorschriften in deren Rechtsfolge anordnen, ist etwas anderes als die Rechtsfolge eines Schadensersatzes durch eine nebenvertragliche Pflichtverletzung.
Die Kritik ignoriert dabei die positiven Vorschriften der §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB. Insbesondere der § 311 Abs. 2 BGB hat jedoch gerade das vorvertragliche Stadium, die Vertragsverhandlung, im Blick. Die hier einzuhaltenden Pflichten des § 241 Abs. 2 BGB gelten auch im Arbeitsrecht (Kittner/Zwanziger/Deinert/Heuschmid-Becker, Arbeitsrecht, 9. Aufl. 2017, § 21 Rn 1; Joussen, ZMV 2020, 15, 17). Das gilt zumal in einem bestehenden Arbeitsverhältnis, das anerkanntermaßen eine Rücksichtnahme- und Fürsorgepflicht des Arbeitgebers inkludiert (Schaub-Ahrendt, Arbeitsrechtshandbuch, 17. Aufl. 2017, § 106 Rn 1 ff.; Heinkel, ZTR 2020, 261 ff. sub 6.2.). Die Kritiker negieren diesen Umstand.
Wenn aber in einer Verhandlungssituation über einen Aufhebungsvertrag die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitnehmers i.S.d. § 241 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen sind, dann doch wohl in der Weise, dass er nicht durch Manipulationen gefügig gemacht werden und seine Unterschrift nicht durch Manipulationshandlungen bewirkt werden soll.
In einem haben die Kritiker jedoch Recht. Die Ansicht des BAG, ein entgegen dem Gebot des fairen Verhandelns zustande gekommener Aufhebungsvertrag sei direkt unwirksam, ist unzutreffend. Es handelt sich nämlich um einen Anspruch des Arbeitnehmers (§ 194 Abs. 1 BGB), den dieser definitiv geltend machen muss, um die Rechtswirkungen herbeizuführen (Boemke, JuS 2019, 1204, 1205). Wenn sich der Arbeitnehmer allerdings darauf beruft, tritt die Naturalrestitution ein, d.h., der Aufhebungsvertrag entfällt sodann. Damit bliebe das Arbeitsverhältnis weiter bestehen und der Arbeitnehmer kann die vertragsgemäße Weiterbeschäftigung beanspruchen (Joussen, ZMV 2020, 15, 18). Für den Fall einer zuvor ausgesprochenen Kündigung wie im Fall des BAG, Urt. v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18 müsste die Arbeitnehmerin zusätzlich erfolgreich gegen die Kündigung klagen, um ihren Arbeitsplatz dauerhaft zu behalten.
Man könnte den Eindruck gewinnen, als bedauerten die Kritiker diese Rechtsprechung, weil sie die Arbeitgeber um die Möglichkeit brächte, in solchen Verhandlungen eine harte Verhandlungsweise – oder besser: Vorgehensweise – zu pflegen, damit Arbeitnehmer Aufhebungsvereinbarungen unterschreiben. So wird tatsächlich gefordert, „so dürfen weder ... eine gewisse List bzw. Cleverness bei Vertragsverhandlungen unterbunden werden” (Tiedemann, ArbRB 2020, 62, 63). Im Ergebnis ist dem BAG daher rechtzugeben, dass bei Verhandlungen über Aufhebungsverträge diese Nebenpflicht zur fairen Verhandlungsweise zu beachten ist.
Insofern ist auch dem LAG Mecklenburg-Vorpommern zuzustimmen. So sehr das Urteil insb. unter Zugrundelegung des Inhalts der Prozessakte kritikwürdig sein mag (vgl. Fischinger, NZA-RR 2020, 516, 518 f.), widerspricht es dem Gebot fairer Verhandlung, den Lehrer mit dem unzutreffenden und daher täuschenden Hinweis auf die befristete Probezeit zu einer Unterschrift unter den Aufhebungsvertrag zu bringen.