Zusammenfassung
Dieser Beitrag untersucht, was das vom BAG 2019 eingeführte und aktuell 2022 bestätigte Gebot des fairen Verhandelns über arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge bedeutet. Er behandelt die im Schrifttum geäußerte Kritik an dieser Rechtsprechung und setzt sich mit dem Begriff der „Fairness” auseinander. Das Gebot des fairen Verhandelns wird im Ergebnis in der Praxis nur im Ausnahmefall einen Aufhebungsvertrag zu Fall bringen, da das BAG nicht jede unfaire Praxis missbilligt, sondern entgegen der Bezeichnung als Gebot nur ein Mindestmaß an Fairness fordert.
I. BAG, Urt. v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18: Ein Paukenschlag?
2019 hat das BAG (Urt. v. 7.2.2019 – 6 AZR 75/18 = NJW 2019, 1966 ff.) erstmals explizit ein „Gebot des fairen Verhandelns” postuliert, dessen Grundlagen es 2022 (BAG, Urt. v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21) bestätigt hat.
Dem Urteil, in dem das BAG 2019 dieses Gebot formuliert, liegt folgender Fall zugrunde: Eine krankgeschriebene Reinigungskraft erhielt zu Hause unerwarteten Besuch vom Arbeitgeber. Als Mitbringsel legt er einen Aufhebungsvertrag für die Arbeitnehmerin auf den Tisch. Ihr war bereits zuvor arbeitgeberseitig gekündigt worden, obgleich ihr Vertrag erst einen Monat vorher verlängert worden war. Der Entwurf des Aufhebungsvertrags sah keine Abfindung vor, enthielt eine Verzichtsklausel (außer für geleistete Überstunden) und einen Passus über ein wohlwollendes Zeugnis. Die Arbeitnehmerin, die nach eigenen Angaben zuvor Schmerzmittel genommen hatte und durch den Besuch aus dem Schlaf geweckt wurde, unterschrieb den Aufhebungsvertrag, dessen Unwirksamkeit sie danach geltend machte.
Das BAG verneinte zwar ein Verbraucherwiderrufsrecht der Arbeitnehmerin gem. §§ 310 Abs. 3, 312g Abs. 1, 312b BGB (ebenso Bauer/Romero, ZFA 2019, 608, 611 ff.; Heinkel, ZTR 2020, 261 ff. sub 5). Auch ein Anfechtungsrecht gem. §§ 119 ff. BGB oder ein Zweifel an der Geschäftsfähigkeit der Arbeitnehmerin gem. § 105 BGB schieden aus.
Das BAG hielt die Umstände dieses Einzelfalls jedoch für so relevant, dass es den Fall an das LAG mit der Maßgabe zurückverwies, zu prüfen, ob der Arbeitgeber hier nicht gegen das Gebot fairen Verhandelns verstoßen habe. Dieses Gebot fairen Verhandelns über einen arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrag stufte das BAG als eine Nebenpflicht i.S.d. §§ 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB ein. Denn der Aufhebungsvertrag sei einerseits ein eigenständiges Rechtsgeschäft, für das Vertragsverhandlungen i.S.d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB aufgenommen würden. Andererseits seien die Parteien bereits durch ein bereits bestehendes Schuldverhältnis verbunden, nämlich durch ihren Arbeitsvertrag, der entsprechende Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers mit sich bringt. Diese aus dem Arbeitsverhältnis stammende, Rücksichtnahmepflicht wirke gem. § 241 Abs. 2 BGB auch auf die Verhandlungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein: Es sollen die „Interessen”, hier: die Entscheidungsfreiheit des Arbeitnehmers auch unterhalb der Grenze der §§ 105, 119 ff. BGB, geschützt werden.
Verstößt der Arbeitgeber gegen diese Nebenpflicht des Gebots fairen Verhandelns, steht dem Arbeitnehmer laut BAG ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 280 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB zu, der sich auf den Ersatz des negativen Interesses richtet. Ein Arbeitnehmer ist damit so zu stellen, wie er ohne die unfaire Verfahrensweise stünde. Bei einer fairen Verhandlungsweise des Arbeitgebers hätte er den Aufhebungsvertrag im Regelfall nicht abgeschlossen. Die Konsequenz des Schadensersatzanspruchs ist dann also der Wegfall des Aufhebungsvertrags. De facto kann es so gelingen, aus dem Aufhebungsvertrag wieder herauszukommen.
Diese Grundsätze hat das BAG erst kürzlich bestätigt, auch wenn es hier keinen Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns bejahte (BAG, Urt. v. 24.2.2022 – 6 AZR 333/21). Bei diesem Fall ging es um einen Aufhebungsvertrag, dessen sofortige arbeitnehmerseitige Unterschrift vom Arbeitgeber verlangt wurde. Die Parteien saßen sich dann zehn Minuten schweigend gegenüber, bevor die Arbeitnehmerin dann unterschrieb. Das erkannte das BAG nicht als einen Verstoß gegen das Gebot des fairen Verhandelns.
II. Befürchtungen und Reaktionen: Wurde eine Tür für ein allgemeines Reuerecht geöffnet?
1. Kritik am BAG
Die Kritik an dieser Rechtsprechung entzündete sich seit 2019 schnell. So wird die dogmatische Ableitung dieses Gebots des fairen Verhandelns als schuldrechtliche Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB stark angezweifelt (Boemke, JuS 2019, 1204, 1206; Holler, NJW 2019, 2206; Kamanabrou, RdA 2020, 201, 209; Hördt, Überrumpelung und Druck – Das Gebot fairen Verhandelns und seine Reichweite, ArbRAktuell 2019, 289, 291; LAG Hamm, Urt. v. 17.5.2021 – 18 Sa 1221/20; Stoffels nennt es eine „fragwürdige Konstruktion”, NJW-Aktuell 12/2022, S. 22). Denn der Gesetzgeber habe nur eng begrenzte Möglichkeiten geschaffen, Vertragserklärungen wieder zu beseitigen. Dem BAG wird vorgeworfen, dass er sich über diese vom Gesetzgeber vorgegebenen Instrumente zur Kontrolle von Vertragsabschlüssen (§§ 105, 123, 134, 138, 307 ff. BGB) hinwegsetze und diese quasi freihändig um das Gebot fairen Verhandelns erweitere (Holler, NJW 2019, 220...