Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 1 StPO erstreckt sich auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Das hat jetzt (auch) das OLG Dresden entschieden (Beschl. v. 21.12.2023 – 2 Qs 298/23) und damit seine frühere entgegenstehende Rechtsauffassung (OLG Dresden, Beschl. v. 10.12.2013 – 2 Ws 569/13) aufgegeben. Die Beiordnung des Pflichtverteidigers gem. § 140 Abs. 1 StPO erstrecke sich – so das OLG – auch auf die Vertretung des Angeklagten im Adhäsionsverfahren. Diese in Rechtsprechung und Literatur bislang umstrittene Frage sei in der Rechtsprechung nunmehr geklärt. Für eine Umfangsbeschränkung der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 StPO auf die Abwehr allein des staatlichen Strafanspruchs finde sich im Gesetz keine Grundlage. Da das Adhäsionsverfahren Teil des Strafverfahrens sei, wie sich aus dessen gesetzlicher Regelung in den §§ 403 ff. StPO ergebe, erstrecke sich der Umfang der notwendigen Verteidigung gem. § 140 Abs. 1 StPO schon deshalb auch hierauf. Das OLG verweist hierzu auf die Ausführungen des BGH (vgl. Beschl. v. 27.7.2021 – 6 StR 307/21, AGS 2021, 431 = StraFo 2021, 473 = NJW 2021, 2901 = zfs 2021, 703 m. Anm. Hansens; ebenso BGH, Urt. v. 30.6.2022 – 1 StR 277/21, NStZ-RR 2022, 336), der dies auf Grundlage der Gesetzesbegründung zur Umsetzung der EU-Richtlinie 2016/191 vom 26.10.2016 überzeugend darlegt habe. Denn wenn die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig i.S.v. § 140 Abs. 1 StPO sei, so erstrecke sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge. Eine Beschränkung des Umfangs der notwendigen Verteidigung auf die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs habe der Gesetzgeber in § 140 StPO nicht vorgenommen. Die von der Staatskasse in Bezug genommene abweichende Entscheidung des 5. Strafsenats (BGH, Beschl. v. 8.12.2021 – 5 StR 162/219) enthalte demgegenüber keine sachbezogene Begründung.
Die Entscheidung ist zutreffend. Allmählich scheinen also nicht nur der BGH (vgl. die vorstehend zitierten Entscheidungen des 1. und 6. Strafsenats), sondern auch die OLG begriffen zu haben, dass zumindest nach der Neuregelung des Rechts der Pflichtverteidigung im Jahr 2019 für die früher von den OLG wohl überwiegend vertretene Auffassung, dass die Pflichtverteidigerbestellung die Verteidigung im Adhäsionsverfahren nicht erfasst, nicht mehr haltbar ist (vgl. zur früheren Rechtsprechung Burhoff/Volpert/Burhoff, RVG, Straf- und Bußgeldsachen, 7. Aufl. 2021, Nr. 4143 VV Rn 20). Das hat ein Teil der OLG-Rechtsprechung allerdings auch schon früher so gesehen, was zutreffend war (Burhoff/Volpert/Burhoff, a.a.O., Nr. 4143 Rn 20 f.). Inzwischen hat sich auch der BGH der letzteren Auffassung angeschlossen. Ihm ist in der Rechtsprechung bereits das OLG Brandenburg gefolgt (vgl. Beschl. v. 24.1.2022 – 1 Ws 108/21 (S), AGS 2022, 211). Immer noch anderer Auffassung ist mal wieder das LG Osnabrück (vgl. Beschl. v. 5.9.2022 – 18 KLs 5/22, AGS 2023, 46 = JurBüro 2022, 638), dessen Auffassung aber nicht mehr haltbar ist.
Hinweis:
Auch wenn der BGH (s. vorstehend) und immerhin jetzt zwei OLG inzwischen auch die zutreffende Ansicht zur Erstreckung vertreten, sollte sich der Pflichtverteidiger in Verfahren, in denen im Adhäsionsverfahren Ansprüche geltend gemacht werden, nicht entspannt zurücklehnen. Das gilt vor allem, wenn das zuständige OLG früher der Auffassung war, dass die Pflichtverteidigerbestellung die Tätigkeiten im Adhäsionsverfahren nicht erfasst. Denn die Entscheidung des LG Osnabrück (a.a.O.) zeigt: Nicht alle Gerichte schließen sich der zutreffenden Ansicht des BGH (a.a.O.) in der Frage an. Daher sollte der Verteidiger vorsorglich ausdrücklich die Erstreckung der Pflichtverteidigerbestellung beantragen. Ist das mit der Sache befasste Gericht dann der Auffassung, dass die Erstreckung „automatisch” erfolgt, wird es den Antrag unter Hinweis auf seine Rechtsansicht zurückweisen und dürfte daran dann im Rahmen der Kostenfestsetzung gebunden sein. Geht es unzutreffend davon aus, dass die Bestellung das Adhäsionsverfahren nicht erfasst, kann sich der Verteidiger dagegen mit der sofortigen Beschwerde (§ 142 Abs. 7 StPO) wehren und ist insoweit nicht auf das spätere Vergütungsfestsetzungsverfahren angewiesen.