Zitat
§ 8 Abs. 1 AÜG – Grundsatz der Gleichstellung: "(1) Der Verleiher ist verpflichtet, dem Leiharbeitnehmer für die Zeit der Überlassung an den Entleiher die im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts zu gewähren (Gleichstellungsgrundsatz). Erhält der Leiharbeitnehmer das für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers im Entleihbetrieb geschuldete tarifvertragliche Arbeitsentgelt oder in Ermangelung eines solchen ein für vergleichbare Arbeitnehmer in der Einsatzbranche geltendes tarifvertragliches Arbeitsentgelt, wird vermutet, dass der Leiharbeitnehmer hinsichtlich des Arbeitsentgelts im Sinne von Satz 1 gleichgestellt ist. Werden im Betrieb des Entleihers Sachbezüge gewährt, kann ein Wertausgleich in Euro erfolgen."
Zu den zentralen Änderungen des Reformgesetzes zählt die Betonung des Grundsatzes der Gleichstellung der Leiharbeitnehmer, der grundsätzlich ab dem ersten Arbeitstag greift. Selbst bei einer abweichenden tariflichen Regelung müssen künftig nach einer Überlassung von neun Monaten die beim Entleiher für einen vergleichbaren Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts (gesetzliches Equal-Pay) gewährt werden. Unter engen Voraussetzungen kann bei sog. Branchenzuschlagstarifverträgen der Zeitraum verlängert werden, allerdings muss auch in diesen Fällen nach spätestens 15 Monaten der Überlassung ein Entgeltniveau erreicht werden, dass die Tarifvertragsparteien als gleichwertiges Arbeitsentgelt definieren. Dieses Entgelt ist sodann bis zu dem Zeitpunkt zu zahlen, an dem die gesetzliche oder kollektivvertragliche Höchstüberlassungsdauer erreicht ist.
Obwohl dies während der Sachverständigenanhörung von verschiedener Seite angemahnt wurde (vgl. Henssler, in: Deutscher Bundestag Ausschussdrucksache 18 (11) 761, S. 40), verzichtet die Neuregelung darauf, den Grundsatz der Entgeltgleichheit zu präzisieren. Der Wortlaut "wesentliche Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts" eröffnet einen gewissen Interpretationsspielraum. Legt man mit der Gesetzesbegründung den weiten Entgeltbegriff zugrunde, umfasst das Arbeitsentgelt "jede Vergütung, die aus Anlass des Arbeitsverhältnisses gewährt wird beziehungsweise aufgrund gesetzlicher Entgeltfortzahlungstatbestände gewährt werden muss" (BT-Drucks 18/9232, S. 22 unter Verweis auf BAG, Urt. v. 13.3.2013 – 5 AZR 294/12, NZA 2013, 1226). Dazu gehören nach der Rechtsprechung des BAG (v. 19.2.2014 – 5 AZR 1046/12, AP AÜG § 10 Nr. 42 sowie 5 AZR 1047/12, AP AÜG § 10 Nr. 40) neben den tariflichen Entgeltbestandteilen auch alle betrieblich üblichen oder vereinbarten und auch die individualvertraglich zugesagten Vergütungselemente (Urlaubsentgelt, Entgeltfortzahlung, Tantiemen, Sonderzahlungen, Zulagen und Zuschläge sowie vermögenswirksame Leistungen). Bei einem sehr weiten Verständnis könnten sogar nicht unmittelbar in Geld gewährte, aber gleichwohl geldwerte Vorteile, wie Aktienoptionen und Dienstwagen, erfasst sein. Das Gesetz geht erkennbar davon aus, dass auch Sachbezüge zum Arbeitsentgelt gehören, da Satz 3 für diesen Fall dem Verleiher die Möglichkeit eröffnet, seinen Beschäftigten einen Wertausgleich in Euro zu zahlen. Diese weite Auslegung führt allerdings für die Zeitarbeitsunternehmen zu einem übertriebenen bürokratischen und insgesamt unverhältnismäßigen Aufwand, da sie eine Vielzahl von komplexen betrieblichen Vergütungsstrukturen ihrer Kunden nachzeichnen müssen. Unverhältnismäßig ist dies insbesondere, wenn es – wie in der Mehrzahl der Fälle – nur um Kurzeinsätze von weniger als drei Monaten geht. Vor dem Hintergrund des gesetzlichen Regelungsanliegens "Rückführung der Zeitarbeit auf die Kernfunktion" schießt das weite Verständnis des Entgeltbegriffs ersichtlich über das Ziel hinaus. Danach muss es genügen, wenn die Arbeitnehmerüberlassung nachweislich nicht dazu eingesetzt wird, die beim Entleiher geltenden Tarifstrukturen zu unterlaufen.
Praxishinweis:
Die Vermutung des § 8 Abs. 1 S. 2 AÜG erweist sich insoweit als wenig hilfreich. Da der Arbeitnehmer ohnehin die Darlegungs- und Beweislast dafür trägt, dass das von seinem Arbeitgeber gezahlte Entgelt nicht der Vergütung eines vergleichbaren Stammarbeitnehmers des Entleihers entspricht, läuft sie leer. Allenfalls die Arbeit der mit der Überwachung der Einhaltung des Gleichstellungsgrundsatzes befassten Behörden wird über diese Vermutung erleichtert.