Das BVerwG in Leipzig sieht sich erheblich überlastet“. So äußerte es der Präsident des Gerichts, Prof. Dr. Dr. h.c. Klaus Rennert, auf der Jahrespressekonferenz Anfang März anlässlich der Vorstellung des Geschäftsberichts für 2017.
Den Grund hierfür sieht der Präsident vor allem im erneut gestiegenen Umfang derjenigen Klageverfahren, für die das BVerwG in erster und letzter Instanz zuständig ist. Zu nennen sind hier zum einen Klagen gegen Vereinsverbote, die der Bundesinnenminister verhängt hat, zum zweiten Rechtsschutzersuchen von Ausländern, deren sofortige Abschiebung ein Landesinnenminister gem. § 58a AufenthG angeordnet hat, weil er sie als Gefährder einstuft, und schließlich und vor allem Klagen von Betroffenen, aber auch von Umweltverbänden gegen Behördenentscheidungen, mit denen große Infrastrukturprojekte genehmigt werden. Insofern war das BVerwG im Jahr 2017 mit Klagen gegen die Vertiefung der Elbe, gegen diverse Abschnitte von Hochspannungs-Fernleitungen, gegen etliche Vorhaben der Bahn zum Ausbau ihres Schienennetzes sowie gegen mehrere Autobahnabschnitte befasst. Wegen ihrer zunehmenden Komplexität bindet die Bearbeitung dieser Sachen einen ständig wachsenden Anteil – mittlerweile etwa ein Drittel – der gesamten richterlichen Arbeitskraft des Gerichts.
Die Beanspruchung des Gerichts in seinem Kerngeschäft“ als Revisionsgericht ist 2017 im Vergleich zu den Vorjahren gleich geblieben; die Eingangszahlen von 2013, 2015 und 2017 waren praktisch identisch (rund 1.460 Verfahren), die Jahre dazwischen wiesen leichte Abweichungen infolge von Sondereffekten auf. Auch bei vielen Revisionen macht sich allerdings eine zunehmende Komplexität bemerkbar, für die nicht nur eine Verdichtung der Lebensverhältnisse“ verantwortlich ist, sondern auch eine immer kompliziertere Gesetzgebung sowohl in Deutschland als auch in der EU.
Das BVerwG hat diese gestiegenen Anforderungen auch 2017 mit demselben Personal im richterlichen wie im nichtrichterlichen Bereich meistern müssen. Angesichts dessen stellte es Rennert zufolge eine besondere Herausforderung dar, die in den Vorjahren erzielten Erfolge in dem Bemühen, die Verfahrenslaufzeiten weiter zu verkürzen, nicht wieder zu verspielen. Das sei gelungen; auch 2017 habe ein Revisionsverfahren im Durchschnitt weniger als ein Jahr gedauert (genau: 11 Monate und 7 Tage), und ein erstinstanzliches Klageverfahren habe noch weniger Zeit beansprucht (10 Monate und 26 Tage). Allerdings habe sich dieses Niveau nur halten lassen, weil die mit den Verfahren befassten Mitglieder des Gerichts oft einen deutlich über das Geschuldete hinausgehenden Einsatz gezeigt hätten.
Für 2018 rechnet das BVerwG mit einer weiter zunehmenden Belastung. Im Bereich der großen Infrastrukturvorhaben stehen etliche bedeutsame und hochkomplexe Verfahren zur Entscheidung an, darunter der Betrieb des Hauptbahnhofs Stuttgart, eine weitere Hochspannungs-Freileitung, das Kohlekraftwerk Moorburg oder die Nord-West-Umfahrung Hamburg der Autobahn A 20. Die Revisionssenate werden sich mit zahlreichen weiteren Problemen zu befassen haben, etwa mit der Altersfeststellung bei unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen, mit der Klage des Betreibers eines Internet-Knotens gegen die Anordnung der strategischen Fernmeldeüberwachung oder mit dem neuen Haar- und Barterlass der Bundeswehr.
Hinzu kommt, dass die Migrationswelle nunmehr auch das BVerwG erreicht hat. Die Belastung der Verwaltungsgerichte der ersten Instanz durch Klagen und Eilanträge von Asylsuchenden hat 2015 und 2016 rasant zugenommen und 2017 mit annähernd 400.000 Eingängen einen historischen Höchststand erreicht. Diese Welle wirkt sich mit zeitlicher Verzögerung auch auf die Revisionsinstanz aus. Dabei kommt dem BVerwG vor allem die Aufgabe zu, die Rechtsprechung der 51 Verwaltungsgerichte und 15 Oberverwaltungsgerichte zu vereinheitlichen. Darin sieht das Gericht eine der Hauptaufgaben für das Jahr 2018.
Präsident Rennert wies darauf hin, dass es im dringenden öffentlichen Interesse liege, dass das BVerwG seine Verfahren möglichst zügig betreibt und die von ihm erwarteten Entscheidungen zeitnah trifft. Das solle dadurch gefördert werden, dass der Personalbestand des Gerichts von derzeit 55 Richterinnen und Richtern aufgestockt werde. Wegen der außerordentlichen Belastung durch die Migrationswelle hätten die Länder praktisch durchweg die Personalkapazität ihrer Verwaltungsgerichte deutlich erhöht. Der Bund solle hier nachziehen.
[Quelle: BVerwG]