Das Angehörigen-Entlastungsgesetz greift auch nicht in das Unterhaltsrecht selbst ein, sondern betrifft allein den sozialrechtlichen Anspruchsübergang auf den Träger der Sozialleistungen. Erfolgt also kein Übergang des Elternunterhaltsanspruchs auf den Sozialhilfeträger, kann der pflegebedürftige Elternteil weiterhin sein Kind auch dann selbst in Anspruch auf Unterhalt nehmen, wenn es weniger als 100.000 EUR im Jahr verdient.
Bei der Bemessung der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit des auf Zahlung in Anspruch genommenen Kindes sind dann dessen eigener Selbstbehalt von 2.000 EUR und ggf. derjenige seines Ehegatten von weiteren 1.600 EUR einzubeziehen, die in der Düsseldorfer Tabelle festgelegt sind. Allerdings konnte die Neuregelungen des Angehörigen-Entlastungsgesetzes noch nicht in die Selbstbehaltsätze der zum 1.1.2020 geltenden Düsseldorfer Tabelle eingearbeitet werden. Hier ist noch eine Korrektur erforderlich, um nicht mehr sachlich zu begründende Verwerfungen zu vermeiden (Schürmann, FF 2020, 48).
Hierzu zwei Berechnungsbeispiele:
Aus der Jahres-Einkommensgrenze des Angehörigen-Entlastungsgesetzes von 100.000 EUR brutto ergibt sich ein monatliches Bruttoeinkommen von 8.333 EUR. Dies entspricht überschlägig einem Nettoeinkommen von 5.000 EUR monatlich.
Übersteigt das monatliche Nettoeinkommen des unterhaltspflichtigen Kindes diesen Grenzbetrag von 5.000 EUR nicht, besteht kein übergeleiteter Unterhaltsanspruch des Sozialleistungsträgers gegen das unterhaltspflichtige Kind. Ist dessen Einkommen aber nur geringfügig höher, ist der Unterhaltsanspruch auf den Sozialleistungsträger übergegangen und berechnet sich wie folgt:
Fall 1:
Einkommen des ledigen unterhaltspflichtigen Kindes |
5.010,00 EUR |
abzgl. des eigenen Selbstbehalts des Kindes |
- 2.000,00 EUR |
verbleibende unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Kindes |
3.010,00 EUR |
i.H.d. Hälfte dieses Betrags besteht der Unterhaltsanspruch (BGH, Urt. v. 28.7.2010 – XII ZR 140/07, NJW 2010, 3161 = FamRZ 2010, 1535), also i.H.v.: |
1.505,00 EUR |
Fall 2:
Einkommen des verheirateten unterhaltspflichtigen Kindes |
5.010,00 EUR |
abzgl. des eigenen Selbstbehalts des Kindes |
- 2.000,00 EUR |
abzgl. des Selbstbehalts des Ehegatten des Kindes |
- 1.600,00 EUR |
verbleibende unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit des Kindes |
1.410,00 EUR |
i.H.d. Hälfte dieses Betrags besteht der Unterhaltsanspruch, also i.H.v.: |
705,00 EUR |
Die in den Fallbeispielen aufgezeigte Diskrepanz ist sachlich nicht zu begründen. Folglich müssen die Selbstbehaltsätze des Elternunterhalts in entsprechender Höhe ebenfalls angepasst werden. Denn nur so kann vermieden werden, dass es bei geringfügiger Überschreitung der Einkommensgrenze von 100.000 EUR brutto jährlich zu unangemessenen Ergebnissen kommt. Denn der Zweck des Gesetzes, Familien wirksam zu entlasten und den Familienfrieden zu wahren, darf nicht dadurch in sein Gegenteil verkehrt werden, dass bei einem nur geringfügig höheren Einkommen des in Anspruch genommenen Kindes von diesem ein deutlich höherer Unterhaltsbetrag verlangt wird und damit nur ein geringerer Betrag für die eigene Lebensführung verbleibt als einem Pflichtigen mit geringerem Einkommen.
Autor: Dr. Wolfram Viefhues, Weitere Aufsicht führender Richter am RiAG a.D., Gelsenkirchen
ZAP F. 11, S. 345–348