I. Gegenstand des Beitrags
Das am 1.1.2023 in Kraft tretende Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten vom 16.7.2021 (LkSG, BGBl I 2959) hat ein Schlaglicht auf die Frage geworfen, ob es eine zivilrechtliche Verantwortlichkeit von Unternehmen für selbstständige Auftragnehmer gibt. Obwohl das Gesetz diese Frage in seinem Anwendungsbereich (bis zu einer etwaigen europarechtlichen Revision) abschlägig beantwortet, enthalten andere Gesetze gegenteilige Weichenstellungen. Dieser Beitrag systematisiert und skizziert die wichtigsten Regelungen.
II. Rechtsträger-Prinzip
Jede Person ist für die Erfüllung ihrer zivilrechtlichen Verpflichtungen i.d.R. selbst verantwortlich und jede Person darf bei ihrem eigenen Sorgfaltsniveau i.d.R. davon ausgehen, dass auch alle anderen Personen sorgfältig handeln. Dieses Rechtsträger-Prinzip ist Ausfluss des Vertrauensgrundsatzes. Eine allgemeine Verpflichtung zur Information über das Verhalten anderer, zur Kontrolle dieses Verhaltens und zur Einflussnahme hierauf besteht nicht. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur in engen Grenzen denkbar, weil umfassende Sorgfaltspflichten in Bezug auf das Verhalten anderer, zu einer uferlosen Haftung und einer massiven Erhöhung des Bürokratieaufwands und der Transaktionskosten führen würden (MüKo/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 823 Rn 115).
Etwas anderes kann grds. auch nicht im Konzern gelten. Allenfalls die Integration mehrerer Rechtsträger unter einer einheitlichen Leitung ist geeignet, die Verantwortung der Muttergesellschaft auszulösen. Eine solche Haftung ist unproblematisch, wenn sie an die Verletzung von Sorgfaltspflichten im Zuge eines aktiven Verhaltens der Muttergesellschaft anknüpft, etwa durch Organisationsmaßnahmen oder Weisungen. Problematisch ist eine solche Haftung, wenn der Muttergesellschaft nicht die fehlerhafte, sondern eine fehlende Kontrolle vorgeworfen wird (MüKo/Wagner, a.a.O., BGB § 823 Rn 113).
III. Traditionelle Zurechnungsregeln
Die Verantwortlichkeit für Dritte im Allgemeinen und für Selbstständige im Besonderen setzt einen Zurechnungsgrund voraus.
Hinweis:
Die Zurechnungsgründe können regelungstechnisch unterschiedlich ausgestaltet sein. Es gibt sie als Anspruchsgrundlagen (z.B. Vertrag oder § 831 Abs. 1 BGB), als Verantwortlichkeitsmaßstäbe (z.B. § 278 S. 1 BGB), als Haftungsüberleitungen (z.B. § 14 S. 1 AEntG) oder als Prozessnormen (z.B. § 11 Abs. 1 LkSG).
1. Vereinbarte Haftung
Die Verantwortlichkeit für selbstständige Dritte kann sich aus einem Vertrag (ggf. zugunsten oder mit Schutzwirklung zugunsten Dritter) ergeben. Jemand kann sich etwa verpflichten, einen Dritten zu beaufsichtigen. Dieser Aspekt hat besondere Bedeutung im Zusammenhang mit der Vereinbarung von Verhaltenskodizes in der Lieferkette erlangt, die den Zulieferern bestimmte Umwelt- und Arbeitsschutzstandards auferlegen. Kann z.B. der Arbeitnehmer eines Zulieferers dessen Auftraggeber mit der Begründung in Anspruch nehmen, er habe den Zulieferer nicht ordnungsgemäß überwacht? Die Problematik liegt hier darin, dass der zwischen dem Auftraggeber und seinem Zulieferer vereinbarte Verhaltenskodex Voraussetzung dafür ist, dass überhaupt von einer Pflichtverletzung gesprochen werden kann.
Hinweis:
Ob ein Vertrag zugunsten Dritter bzw. mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vorliegt, muss durch Auslegung ermittelt werden. Erforderlich ist eine von dem Verpflichteten gewollte bzw. für ihn klar erkennbare Einbeziehung Dritter in seinen Verantwortungsbereich.
Typischerweise ist ein Verhaltenskodex als Teil der CSR-Geschäftspolitik eines Unternehmers weder dazu bestimmt, den Arbeitnehmern Ansprüche gegen ihren Arbeitgeber (den Zulieferer des Unternehmers) zuâEUR™vermitteln, noch beinhaltet er eine Selbstbindung bzw. ein Versprechen des Unternehmers an die Arbeitnehmer seines Zulieferers, diesen in ihrem Interesse zu überwachen. Dazu fehlt es an der Leistungsnähe der Arbeitnehmer des Zulieferers (LG Dortmund, Urt. v. 10.1.2019 – 7 O 95/15, BeckRS 2019, 388 Rn 33 f.). Denn die Arbeitnehmer des Zulieferers sind ebensowenig wie dieser selbst einer spezifischen Gefahr durch den Auftraggeber ausgesetzt, weil ihm praktisch nur die Zahlung der Vergütung an den Zulieferer obliegt (allenfalls gekürzt um etwaige Quellensteuern: § 48 Abs. 1 S. 1 EStG bei Bauleistungen bzw. § 50a Abs. 5 S. 2 EStG bei Honoraren und Lizenzgebühren).
Etwas anderes gilt analog § 618 Abs. 1 bzw. 3 BGB, wenn die Arbeitnehmer eines Zulieferers der räumlichen und organisatorischen Herrschaft des Auftraggebers unterliegen und in dessen Betrieb produzieren; in diesem Fall haftet der Auftraggeber, weil sich die Arbeitnehmer des Zulieferers in seiner Risikosphäre bewegen (BGH, Urt. v. 7.12.2017 – VII ZR 204/14, NJW 2018, 1537 Rn 23).
In gewisser Hinsicht beinhalten auch die Mängelrechte gem. §§ 437, 634 BGB eine Verantwortlichkeit fürâEUR™selbstständige Dritte, wenn sich die (Vor-)Leistung von Zulieferern in der Kaufsache oder dem Werk niederschlägt. § 13 Abs. 3 VOB/B lässt den Werkunternehmer auch dann haften, wenn ein Mangel auf Bauteile oder die Be...