Mitte Februar hatte das Bundesarbeitsgericht ein wegweisendes und auch in der nichtjuristischen Öffentlichkeit vielbeachtetes Urteil zur Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen veröffentlicht (Urt. v. 16.2.2023 – 8 AZR 450/21; s. dazu Anwaltsmagazin ZAP 2023, 215). Darin stellten die Erfurter Richter klar, dass ein Arbeitgeber eine ungleiche Bezahlung nicht mit dem Argument rechtfertigen kann, ein männlicher Arbeitnehmer habe eben „besser verhandelt”.
Erstritten wurde das Urteil vom Anwältinnenbüro Leipzig mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF). Die Entscheidungsgründe stehen zwar noch aus; der Deutsche Juristinnenbund (djb) hat aber bereits jetzt eine vorläufige Bewertung mit Blick auf die Auswirkungen des Richterspruchs auf die Unternehmen vorgenommen. Die Juristinnen ziehen aus dem Urteil des BAG den Schluss, dass Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen unmittelbar an das europäische Recht, auf das auch der 8. Senat maßgeblich abgestellt hat (Art. 157 AEUV), gebunden sind. Auch wenn das deutsche EntgTranspG ihnen bisher keine Betriebsprüfung vorschreibe, müssten sie daher jetzt aktiv prüfen, ob Gehaltsunterschiede in ihrem Betrieb möglicherweise nur darauf zurückzuführen seien, dass die Männer mehr Gehalt gefordert haben.
Gebe es keine objektiven Gründe wie Qualifikation, Erfahrung oder Leistung für tatsächlich im Betrieb existierende Gehaltsunterschiede zwischen Männern und Frauen, die vergleichbare Arbeit leisteten, müssten die niedrigeren Gehälter nach oben angepasst werden. Um dem Risiko erheblicher gerichtlicher Lohnnachforderungen und zusätzlichen Entschädigungszahlungen vorzubeugen, seien Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen gut beraten, in ihren Betrieben transparente und kohärente Entgeltsysteme mit objektiven Differenzierungskriterien zu entwickeln.
Der djb verweist darauf, dass das Urteil des BAG eine Einzelfallentscheidung ist und viele Fragen noch offen sind. So sei bislang nicht geklärt, ob es Umstände geben kann, unter denen Arbeitgeber trotz Fehlens sachlicher arbeitnehmerbezogener Gründe auf höhere Gehaltsforderungen eingehen dürfen, etwa in einer Personalmangelsituation. Nach Auffassung der Juristinnen kann Personalmangel als angeführter Grund allenfalls in Betracht kommen, wenn die betreffenden beiden Vergleichspersonen zu unterschiedlichen Zeitpunkten eingestellt wurden und sich die Bedingungen am Markt in der Zwischenzeit nachweislich verändert haben. Insbesondere müsste hier dargelegt werden, dass ein in der Zwischenzeit aufgetretener Personalmangel oder andere Faktoren die marktüblichen Löhne erhöht haben. Es dürfte dann nicht ausreichen, sich darauf zu berufen, dass der im Auswahlverfahren präferierte Kandidat die Stelle nicht zu den angebotenen Konditionen habe antreten wollen.
Was die Verdienstsituation speziell in den rechts- und steuerberatenden Berufen angeht, hat die Bundesrechtsanwaltskammer kürzlich darauf hingewiesen, dass hier der sog. Gender Pay Gap, also der Verdienstunterschied zwischen männlichen und weiblichen Berufsangehörigen, noch deutlich höher liegt als in der sonstigen Wirtschaft. Betrage der Gehaltsunterschied in der allgemeinen Wirtschaft 18 %, so liege er in der Rechts- und Steuerberatungsbranche bei rd. 32 %; dies habe eine aktuelle Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung herausgefunden. Die BRAK sieht sich durch diese Studie in ihren eigenen Erhebungen bestätigt, die ebenfalls Gehaltsunterschiede zwischen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten ergeben hatten.
[Quelle: djb]