Hinzuweisen ist auf den BVerfG, Beschl. v. 17.11.2022 – 2 BvR 827/21. Die Entscheidung beweist noch einmal: Der Weg nach Karlsruhe ist der letzte Schritt, der erst begangen werden kann/darf, wenn zuvor alle prozessualen Schritte im fachgerichtlichen Verfahren gegangen worden sind und nicht zum Erfolg geführt haben. Dazu gehört bei einem Vorgehen gegen eine Beschlagnahme von Unterlagen nicht nur die Beschwerde zum LG, sondern ggf. auch noch der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Sicherstellung (§ 98 Abs. 2 S. 2 StPO).
Im entschiedenen Fall richtete sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Anordnung der Beschlagnahme zahlreicher Unterlagen und Ordner im Rahmen eines Strafverfahrens wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung. Dem waren im April 2013, Juni 2014 und Dezember 2014 richterlich angeordnete Durchsuchungen vorausgegangen. In Vollzug dieser Durchsuchungsbeschlüsse wurden die später beschlagnahmten Gegenstände zur Durchsicht mitgenommen. Die Steuerfahndungsstelle ersuchte erst am 27.1.2020 die zuständige Staatsanwaltschaft, einen Antrag auf Beschlagnahme der Gegenstände zu stellen. Das AG ordnete daraufhin die Beschlagnahme mit Beschl. v. 31.1.2020 an, das LG wies die hiergegen gerichtete Beschwerde des Beschuldigten im April 2021 zurück.
Das BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen. Nach Auffassung des BVerfG stand der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde bereits der in § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende allgemeine Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Nach dem Grundsatz der Subsidiarität solle der gerügte Grundrechtsverstoß nach Möglichkeit schon im fachgerichtlichen Verfahren beseitigt werden (vgl. BVerfGE 63, 77, 78). Danach habe ein Beschwerdeführer über das Gebot der Erschöpfung des Rechtswegs im engeren Sinn hinaus alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken oder eine Grundrechtsverletzung zu verhindern (vgl. BVerfGE 81, 22, 27 m.w.N.). Die Verweisung auf die Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde stehe unter dem Vorbehalt der Zumutbarkeit einer anderweitigen prozessualen Möglichkeit zur Abhilfe (vgl. BVerfGE 134, 106, 115 f. Rn 28 m.w.N.).
Soweit der Beschwerdeführer seinen Einwand, dass die Sicherstellung (§ 110 StPO) unzumutbar lang angedauert habe, erstmals gegen die Beschlagnahmebeschlüsse vorgebracht hat, habe er – so das BVerfG – nicht alle nach Lage des Verfahrens zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten genutzt, um eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzung zu erwirken und die Grundrechtsverletzung zu verhindern. Denn ihm wäre es möglich und zumutbar gewesen, die Dauer der Sicherstellung im Wege eines Antrags auf gerichtliche Entscheidung entsprechend § 98 Abs. 2 S. 2 StPO einer fachgerichtlichen Prüfung zu unterziehen (vgl. BVerfGK 1, 126, 133 f.; 15, 225, 236 f.).
Ein derartiger Antrag auf gerichtliche Entscheidung wäre, so das BVerfG, auch nicht offenkundig aussichtslos gewesen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verlange nämlich, dass die Durchsicht zügig durchgeführt werde, um abhängig von der Menge des vorläufig sichergestellten Materials und der Schwierigkeit seiner Auswertung in angemessener Zeit zu einer Entscheidung darüber zu gelangen, was als potenziell beweiserheblich dem Gericht zur Beschlagnahme angetragen und was an den Beschuldigten herausgegeben werden soll (BGH, Beschl. v. 5.8.2003 – StB 7/03; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 30.1.2002 – 2 BvR 2248/00). Ausgehend von diesen Grundsätzen sei die Verfahrensweise der Ermittlungsbehörden erheblichen Bedenken ausgesetzt. Die Mitnahme der Gegenstände zur Durchsicht habe ohne einen erkennbaren sachlichen Grund mehr als fünf Jahre lang angedauert. Das Fehlen eines sachlichen Grundes offenbare sich darin, dass die Staatsanwaltschaft und das LG die Verfahrensweise offen als „bedauerliches Versehen” bezeichnet haben. Eine solche Verfahrensweise dürfte mit dem Schutzzweck des § 110 StPO, eine übermäßige und auf Dauer angelegte Datenerhebung zu verhindern (vgl. BVerfGE 113, 29, 58), kaum zu vereinbaren sein. Einen ebenso nicht unerheblichen Verfahrensverstoß dürfte es darstellen, dass die Steuerfahndung allem Anschein nach bereits Beweismittel ausgewertet hat. Dies sei ihr aber erst nach richterlicher Anordnung der Beschlagnahme gem. § 94 Abs. 2 i.V.m. § 98 Abs. 1 S. 1 StPO gestattet (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 110 Rn 2 m.w.N.). Dieser Umstand deute darauf hin, dass grundlegende Verfahrensvorschriften verkannt worden seien. Vor diesem Hintergrund erscheine es nicht fernliegend, dass ein mit der Prüfung befasstes Gericht die Dauer der Sicherstellung für unverhältnismäßig gehalten und diese aufgehoben hätte.
Hinweis:
Der Beschuldigte vergibt sich mit der vom BVerfG geforderten Reihenfolge seiner „Rechtsmittel” nichts, denn: Sieht ggf. auch/schon das Fachgericht die Sicherstellung als zu lang und damit unverhältnismäßi...