Der BGH hat jetzt in einem Beschl. v. 13.12.2022 (6 StR 95/22) noch einmal zur Fristwahrung durch Fortsetzungstermine Stellung genommen. Die Frage spielt im Hinblick auf § 229 StPO in der Praxis immer wieder eine Rolle.
Folgender – etwas ungewöhnlicher – Sachverhalt: Die Hauptverhandlung in dem Verfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelten begann am 4.5.2017 und endete erst mit Urt. v. 25.3.2021. Am 20.7.2017, dem 9. Verhandlungstag, hatte die Verteidigung Beweisanträge, insb. zur Schadensberechnung und Leistungsfähigkeit des Angeklagten gestellt, durch die sich das Verfahren erheblich verzögert hat. Im Termin vom 8.9.2020, dem 62. Verhandlungstag, lehnte das LG den am 20.7.2017 gestellten Beweisantrag mit der Begründung ab, dass es aufgrund erfolgter Schadensberechnung über ausreichende eigene Sachkunde zur Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten hinsichtlich der mutmaßlich vorenthaltenen Arbeitsentgelte verfüge. Gegenstand der Hauptverhandlung in den Jahren 2018, 2019 und 2020 war im Wesentlichen die Erörterung des Verfahrensstandes in Bezug auf am 21.12.2017 veranlassten weiteren Ermittlungen des Hauptzollamts zur Buchhaltung des Angeklagten. Häufig wurden nur Verfügungen des Vorsitzenden verlesen, die sich an die StA richteten und Ermittlungsaufträge enthielten. Das LG hatte regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Hauptverhandlung gem. § 229 Abs. 1 und 2 StPO bis zu drei Wochen bzw. einem Monat zu unterbrechen. Infolgedessen fand diese im Jahr 2018 lediglich an 19 Tagen, im Jahr 2019 an 17 Tagen und im Jahr 2020 an 16 Tagen statt, wobei zumeist nur wenige Minuten lang verhandelt wurde. Insgesamt belief sich die Dauer der Hauptverhandlung im Jahr 2018 auf siebeneinhalb, im Jahr 2019 auf fünfeinhalb und im Jahr 2020 auf sechseinhalb Stunden. Dagegen hat der Angeklagte Revision eingelegt, die erfolgreich war.
Der BGH (a.a.O.) fasst zunächst seine Grundsätze zur Sachverhandlung i.S.d. § 229 StPO zusammen (vgl. u.a. BGH, NStZ 2018, 297, 298 = StRR 3/2018, 17; NStZ 2014, 220; NStZ 2012, 343 = StRR 2012, 224; BGH, NStZ 2008, 115 = StRR 2008, 103). Fazit daraus ist, dass es auf jeden Fall gegen § 229 StPO verstößt, wenn aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar wird, dass das Gericht mit der Verhandlung nicht die substanzielle Förderung des Verfahrens bezweckt, sondern allein die Wahrung der Unterbrechungsfrist im Auge hat (BGH NStZ-RR 2022, 383).
Daran gemessen hatte der BGH gegen die Verfahrensweise des LG durchgreifende rechtliche Bedenken. Es könne dahinstehen, ob es an einzelnen Verhandlungstagen überhaupt nicht zu Verfahrensvorgängen kam, die das Verfahren inhaltlich auf den abschließenden Urteilsspruch förderten. Denn selbst wenn an allen Sitzungstagen Verfahrenshandlungen vorgenommen wurden, die grds. zur Unterbrechung der Fristen des § 229 StPO geeignet gewesen seien, so sei aus dem gesamten Verfahrensgang erkennbar, dass das LG dabei zumindest an sieben Verhandlungstagen nur der äußeren Form nach tätig wurde zu dem Zweck, die Vorschrift zu umgehen, und dass der Gesichtspunkt der Verfahrensförderung dahinter als bedeutungslos zurücktrat. Die Verfahrensweise des LG in den Jahren 2018, 2019 und 2020 belege, dass es ihm in dieser Zeit im Wesentlichen nicht um die substanzielle Förderung des Verfahrens, sondern allein um die Wahrung der Unterbrechungsfrist ging. Dadurch habe ersichtlich eine Aussetzung der Hauptverhandlung vermieden werden sollen, obwohl das LG aufgrund des am 20.7.2017 gestellten Antrags etwa drei Jahre lang damit befasst gewesen sei, außerhalb der Hauptverhandlung die Buchhaltung des Angeklagten nach seinen Vorgaben aufbereiten und mehrere alternative Schadensberechnungen erstellen zu lassen. Um die Hauptverhandlung trotz der Verzögerungen fortzuführen, habe das LG die Unterbrechungsfristen des § 229 StPO über Jahre hinweg ausgereizt und die Verhandlung zeitlich dermaßen gestreckt, dass die jährliche Verhandlungsdauer kaum über diejenige eines einzigen gewöhnlichen Sitzungstages hinausging. Im Jahr 2018 habe das LG – verteilt auf 19 Sitzungstage – insgesamt nur siebeneinhalb Stunden verhandelt und in den Jahren 2019 und 2020 war die gesamte Verhandlungsdauer mit fünfeinhalb bzw. sechseinhalb Stunden noch kürzer, verteilt auf 17 bzw. 16 Tage. Gegenstand der Verhandlung sei zumeist der Stand der Dinge betreffend die außerhalb der Hauptverhandlung stattfindenden Vorgänge der Aufarbeitung der Buchhaltung des Angeklagten und der Erstellung der alternativen Schadensberechnung gewesen.
Hinweis:
Der BGH geht ja manchmal mit dem Begriff der „Sachverhandlung” recht großzügig um, aber hier war es ihm dann wohl doch zu viel. Denn m.E. lag es auf der Hand, dass es hier nicht mehr um Verfahrensförderung gegangen ist, sondern allein darum, die Aussetzung der Hauptverhandlung zu verhindern. Wahrscheinlich wäre es insgesamt schneller gegangen, wenn 2017 die Hauptverhandlung ausgesetzt und nach zügigen Nachermittlungen dann neu begonnen worden wäre.
ZAP F. 22 R, S. 339–350
Von Recht...