Zusammenfassung
Seit dem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs zum digitalen Nachlass sind mittlerweile sechs Jahre vergangen. Trotz dieser medienwirksamen Entscheidung wird in der Praxis die Beratung zum digitalen Nachlass in der Vermögensnachfolgeplanung immer noch häufig von den Beratern als auch den Beratenden außer Acht lassen. Dies zeigt eine repräsentative Befragung des Bitkom e.V. aus dem vergangenen Jahr. Danach haben 16 % der Internetnutzer ihren digitalen Nachlass vollständig bzw. 21 % zumindest teilweise geregelt. Dieser Wert stagniert seit dem Jahr 2019 (FD-ErbR 2023, 818562). Eine frühzeitige Regelung des digitalen Nachlasses empfiehlt sich, wie beim analogen Nachlass, damit der Erblasser seinen Willen über den Tod hinaus manifestieren und ggf. den Zugriff seiner Erben auf persönliche Daten verhindern kann. Im Weiteren ist eine Regelung zwingend, sofern der Erblasser mit Kryptowährungen handelt. Kryptowährungen sind als Anlageform sehr beliebt. Nicht zuletzt, seit die Börsenaufsicht SEC in den USA Anfang dieses Jahres den ersten börsengehandelten Bitcoin-ETF genehmigt hat. Aufgrund der Volatilität von Kryptowährungen sollten die Zugangsdaten dem Erben, Vorsorgebevollmächtigten oder Testamentsvollstrecker frühzeitig zugänglich gemacht werden, um Kursverluste zu vermeiden. Entsprechend wird der Beitrag auf ausgewählte Probleme im Zusammenhang mit der Vererblichkeit von Kryptowährungen sowie dem digitalen Nachlass als solchem eingehen und aufzeigen, wie die digitale Vorsorge in die Vermögensnachfolgeplanung effektiv integriert werden kann.
I. BGH-Grundsatzurteil zur Vererbbarkeit eines Benutzerkontos bei sozialem Netzwerk
In dem Urteil des BGH v. 12.7.2018 (III ZR 183/17, ZEV 2018, 582) ging es um folgenden Sachverhalt (LG Berlin, Urt. v. 17.12.2015 – 20 O 172/15, MDR 2016, 165 ff.): Am 4.1.2011 registrierte sich die Erblasserin im Alter von 14 Jahren mit Einverständnis ihrer Eltern bei dem sozialen Netzwerk Facebook. Im Dezember 2012 erfasste eine einfahrende U-Bahn die Erblasserin, die dabei tödlich verunglückte. Die Eltern als Erben sind in der Folgezeit von dem betroffenen Fahrer der U-Bahn auf Zahlung von Schmerzensgeld mit der Begründung in Anspruch genommen geworden, die Erblasserin habe ihren Tod bewusst herbeigeführt (Suizid) und ihn dadurch zumindest fahrlässig geschädigt. Um die Todesumstände ihrer Tochter aufzuklären, versuchten sich die Eltern bei Facebook anzumelden. Die Benutzerdaten waren ihnen bekannt. Der Versuch scheiterte, da Facebook das Benutzerkonto bereits in den sog. Gedenkzustand versetzt hatte. Daher verweigerte Facebook auf Anfrage der Eltern den Zugang, woraufhin die Mutter der Verstorbenen auf Zugang zum Benutzerkonto klagte.
Das LG Berlin verurteilte Facebook auf Zugang zum Benutzerkonto (LG Berlin, 2015, a.a.O.). Das KG Berlin hob die Entscheidung hingegen auf (KG Berlin, Urt. v. 31.5.2017 – 21 U 9/16, FamRZ 2017, 1348 ff.). Der BGH entschied zugunsten der Erbengemeinschaft. Bei Tod eines Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht der Nutzungsvertrag grundsätzlich nach § 1922 BGB auf die Erben über. Dem Zugang zu dem Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten stehen weder das postmortale Persönlichkeitsrecht des Erblassers noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht entgegen (BGH, Urt. v. 12.7.2018 – III ZR 183/17, ZEV 2018, 582).
II. Bezugsobjekt der Vererbbarkeit
Gemäß § 1922 Abs. 1 BGB geht mit dem Tode einer Person deren Vermögen als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen über, sog. Gesamtrechtsnachfolge. Hierbei unterscheidet das BGB nicht zwischen analogem und digitalem Nachlass. Das Vermögen geht ungeteilt auf den Erben über, wodurch dieser in die Rechtspositionen des Erblassers eintritt (vgl. Grüneberg/Weidlich, § 1922 BGB, Rn 10).
1. Speichermedium, Daten, Dateninhalt
Zunächst erwirbt der Erbe im Wege der Gesamtrechtsnachfolge unproblematisch das Eigentum an der Hardware (Desktop-Rechner, Laptop, Tablet) und an den Speichermedien (Datenträger, USB-Stick, usw.) des Erblassers. An den auf dem Speichermedium befindlichen Daten erwirbt der Erbe hingegen kein Eigentum. Elektronische Daten sind als solche keine Sachen, da ihnen die für den Sachbegriff kennzeichnende abgrenzbare Körperlichkeit fehlt, wodurch es kein Dateneigentum und auch keinen Datenbesitz geben kann (OLG Brandenburg, Urt. v. 6.11.2019 – 4 U 123/19, NJW-RR 2020, 54; LG Essen, Urt. v. 6.1.2022 – 6 O 314/21, BeckRS 2022, 650; Müko-BGB/Stresemann, § 90 Rn 25). Daher wird in der juristischen Literatur zwischen dem Recht am jeweiligen Speichermedium und den auf ihm verkörperten Daten, den Dateien (sog. Zeichenebene), auf der einen Seite und auf der anderen Seite dem Recht an den durch die Daten verkörperten Gedankengut, den Inhalten (sog. Bedeutungsebene), unterschieden (MAH ErbR/Scherer/Biermann, § 50 Rn 8; Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass, § 1 Rn 27).
Die auf dem Speichermedium befindlichen Dateien (Zeichenebene) teilen das Schicksal des Speichermediums, wodurch zumindest das aus dem Eigentum folgende Recht auf Nutzung des Datenträgers sowie der Zugriff auf die dort gespeicherten Dateien auf die Erben übergeht (vgl. Herzog/Pruns, ...