Das Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist – eigentlich – eindeutig. Gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG soll der Urlaub grundsätzlich im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Ein Übertragungsanspruch bis zum 31.3. des auf das Urlaubsjahr folgenden Jahres oder darüber hinaus kann einzelvertraglich vereinbart werden oder ergibt sich teilweise aus Tarifverträgen. Ist die Gewährung des Urlaubs im laufenden Kalenderjahr entweder aus dringenden betrieblichen oder aus in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen, z.B. wegen einer Erkrankung, nicht möglich, wird der Urlaub kraft Gesetzes in das erste Kalendervierteljahr des Folgejahres übertragen.
a) Bisherige Rechtsprechung
Wird der Urlaub von dem Arbeitnehmer weder im laufenden Kalenderjahr noch im Übertragungszeitraum beantragt und genommen, galt bisher als fester Grundsatz des deutschen Urlaubsrechts, dass nicht genommener Urlaub am Jahresende verfällt, wenn der Arbeitnehmer ihn bis dahin nicht beantragt hat. Das BAG (Urt. v. 6.8.2013 – 9 AZR 956/11, NZA 2014, 545) vertrat bislang die Auffassung, dass Arbeitgeber nicht verpflichtet werden könnten, Arbeitnehmern Urlaub "aufzuzwingen". Lediglich die "Nicht-Gewährung", also die Verweigerung, von seitens des Arbeitnehmers rechtzeitig verlangtem und beantragtem Urlaub führte zu einem Anspruch auf Ersatzurlaub, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch des Arbeitnehmers wandelte. Die Initiative lag damit bei den Arbeitnehmern, die rechtzeitig zumindest einen Urlaubsantrag stellen mussten, wollten sie zum Ende des Jahres ihren Urlaubsanspruch nicht verlieren.
b) Änderung der Rechtsprechung
Nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 6.11.2018 – C-619/16, "Kreuziger", ZAP EN-Nr. 650/2018 = NZA 2018, 1445 und C-684/16, "Max-Planck-Gesellschaft", NZA 2018, 1474 und Maaß ZAP Anwaltsmagazin 23/2019, S. 1204 f.; vgl. auch schon EuGH, Urt. v. 12.6.2014 – C-118/13, "Bollacke", NZA 2014, 651), der sich das BAG (Urt. v. 19.2.2019 – 9 AZR 541/15, bislang nur als Pressemitteilung 9/19 vorliegend) nunmehr angeschlossen hat, erlischt der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers jedoch nicht (mehr) automatisch. Dem Arbeitnehmer darf danach sein Urlaubsanspruch nicht deshalb verwehrt werden, weil er ihn zuvor nicht aktiv geltend gemacht hat. Aufgrund seiner unterlegenen Position kommt ein Ausschluss allein dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer aus freien Stücken und bei voller Kenntnis der Konsequenzen auf die Ausübung seines Rechts auf Urlaub verzichtet hat.
Infolgedessen muss der Arbeitgeber dafür sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen Jahresurlaub zu nehmen. Der Arbeitgeber muss den Arbeitnehmer hierzu – ggf. förmlich – auffordern und ihn rechtzeitig und umfassend darüber aufklären, dass der Urlaub, falls der Arbeitnehmer ihn nicht nehmen sollte, verfallen wird. Der Arbeitgeber trägt in diesem Fall die Darlegungs- und Beweislast: Er muss nachweisen, dass er mit der entsprechenden Sorgfalt gehandelt hat. Allerdings stellen sowohl EuGH als auch BAG klar, dass der Arbeitgeber nicht gezwungen ist, dem Arbeitnehmer von sich aus Urlaub zu gewähren.
Die Rechtsprechung des EuGH bezieht sich sowohl auf den Verfall von Urlaubstagen als auch auf die Ansprüche auf finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub. Beides darf nunmehr nicht automatisch untergehen, weil der Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder in dem Kalenderjahr vor Ablauf des Bezugszeitraums keinen Urlaub beantragt hat.
Beachte:
Die Rechtsprechung des EuGH bezieht sich nicht nur auf zukünftige, sondern auch auf bereits erworbene Urlaubsansprüche.
Folglich beziehen sich die Konsequenzen nicht nur auf die (Urlaubs-)Jahre ab 2018, sondern grundsätzlich auch auf die Jahre zuvor. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass jedenfalls nach der Rechtsprechung des EuGH (Urt. v. 29.11.2017, C-214/16, "King", NZA 2017, 1591; anders bisher die Rechtsprechung des BAG zum sog. Schadensersatzanspruch auf Ersatzurlaubsgewährung: BAG, Urt. v. 11.4.2006 – 9 AZR 523/05, AP Nr. 28 zu § 7 BUrlG Übertragung) wohl keine Verjährungsvorschriften greifen. Der EuGH sprach Herrn King in der vorbenannten Entscheidung einen rückwirkenden Anspruch auf Urlaubsabgeltung für 13 (!) Jahre zu. In der Entscheidung fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass irgendeine zeitliche Begrenzung der Übertragung durch den EuGH in einem solchen Fall anerkannt würde. So stellt der EuGH ausdrücklich klar, dass die Übertragung der Regelfall ist und das Erlöschen nach einer gewissen Zeit die Ausnahme, für die sich Gründe ergeben müssen.
Die vorstehende Rechtsprechung des EuGH hat folglich erhebliche Konsequenzen für den Umgang des Arbeitgebers mit den Urlaubsansprüchen der Arbeitnehmer! Werden weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber bezüglich des Jahresurlaubs aktiv, verfällt der gesetzliche Jahresurlaub – anders als bislang – nicht.
c) Handlungsempfehlung für Arbeitgeber
Arbeitgeber müssen ihre Arbeitnehmer künftig
- ausdrücklich,
- rechtzeitig und
- (unmiss-)verständlich
darüber aufklären, dass ihr Urlaub verfallen wird, wenn sie nicht rechtzeitig einen U...