Zentrale Voraussetzung für die Anordnung der Maßregel ist ein Hang des Angeklagten, alkoholische Getränke oder andere berauschende (bzw. betäubende) Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Anderweitige Abhängigkeiten, wie beispielsweise Spiel- oder Internetsucht, scheiden dagegen als Anordnungsgrund für eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt aus. § 64 StGB bezieht sich ausschließlich auf stoffgebundene Suchterkrankungen.

 

Hinweis:

Den Hang muss der Tatrichter positiv feststellen; eine bloße (auch hohe) Wahrscheinlichkeit rechtfertigt die Anordnung der Maßregel nicht (BGH, Beschl. v. 8.5.2012 – 3 StR 98/12).

Nach ständiger Rechtsprechung des BGH liegt ein Hang vor, wenn der Täter eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung hat, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu konsumieren, sodass er aufgrund seiner Neigung sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (BGH, Beschl. v. 7.9.2019 – 3 StR 252/19). Dies kann bereits bei jungen Tätern der Fall sein (BGH, Beschl. v. 7.8.2019 – 3 StR 252/19 für einen zur Tatzeit 18-Jährigen).

 

Hinweis:

Diente die Tat dem Erwerb von Betäubungsmitteln zum Eigenkonsum oder zu dessen Finanzierung (Beschaffungskriminalität) oder hat der Angeklagte bereits früher solche Straftaten begangen, liegt ein Hang regelmäßig nahe (BGH, Beschl. v. 21.3.2019 – 3 StR 81/19 und Beschl. v. 11.12.2019 – 5 StR 469/19).

Bei der Prüfung des Hangs kommt es in der Praxis häufig zu Rechtsfehlern. Insbesondere beanstandet der BGH immer wieder, dass das Tatgericht von einem zu engen Begriff des Hangs ausgegangen sei (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 2.4.2015 – 3 StR 103/15). Offenbar wird in der Praxis nicht selten verkannt, dass der Anwendungsbereich des § 64 StGB nicht auf Schwerstabhängige beschränkt ist. Es ist aber gerade nicht erforderlich, dass die Suchterkrankung des Angeklagten bereits so weit fortgeschritten ist, dass er seinen Lebensalltag nicht mehr bewältigen kann. Ein Hang darf deshalb nicht abgelehnt werden, weil der Substanzmissbrauch des Angeklagten "nicht in einem solchen Ausmaß im zentralen Mittelpunkt von dessen Lebensführung stehe, dass sich daraus ein unmittelbarer, ständiger, seine soziale und persönliche Handlungsfähigkeit beeinträchtigender störender oder schädlicher Einfluss" ergeben habe.

Auch Urteile, in denen ein Hang allein deshalb verneint wird, weil der Angeklagte noch in der Lage war, beruflichen Verpflichtungen nachzukommen, haben in aller Regel keinen Bestand (vgl. BGH, Beschl. v. 25.9.2019 – 5 StR 264/19). Beeinträchtigungen der Arbeits- und Leistungsfähigkeit oder der Gesundheit können zwar Anhaltspunkte für einen Hang darstellen, ihr Fehlen steht der Unterbringung aber nicht entgegen (st. Rspr. des BGH, vgl. Beschl. v. 19.9.2019 – 3 StR 355/19 m.z.N.).

Ebenso wenig ist Voraussetzung, dass bereits eine Persönlichkeitsdepravation eingetreten ist (BGH, Beschl. v. 27.8.2019 4 – StR 330/19). Auch muss noch nicht der Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht sein (BGH, Beschl. v. 7.8.2019 – 3 StR 252/19), und es ist auch nicht erforderlich, dass bei der Begehung der Anlasstat die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB vorlagen (Fischer, StGB, 66. Aufl. 2019, § 64 Rn 4 [im Folgenden kurz: Fischer]).

Zudem verlangt die Annahme eines Hangs keinen täglichen Konsum. Die Anwendung des § 64 StGB darf deshalb nicht unter Hinweis darauf abgelehnt werden, dass der Angeklagte in der Lage gewesen sei, seinen Rauschmittelkonsum zu steuern, immer wieder zu verringern oder einzustellen (BGH, Beschl. v. 20.12.2011 – 3 StR 421/11).

 

Hinweis:

Ein nur gelegentlicher, und sei es missbräuchlicher, Alkohol- oder Drogenkonsum genügt allerdings noch nicht. Vielmehr liegt ein Konsum "im Übermaß" erst vor, wenn sich die Neigung zum Suchtmittelkonsum handlungsleitend auswirkt (Fischer, § 64 Rn 8). Ist dies nicht der Fall, scheidet eine Unterbringung in der Entziehungsanstalt auch dann aus, wenn die Tat im Rausch begangen wurde (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 365).

Auch bei Entzugserscheinungen verbietet sich eine schematische Betrachtungsweise. Zwar kann die Annahme eines Hangs naheliegen, wenn es bei dem Angeklagten, insb. zum Tatzeitpunkt, aber auch nach Festnahme und Inhaftierung, zu Entzugserscheinungen kommt (vgl. BGH, Beschl. v. 2.10.2019 – 3 StR 406/19). Im umgekehrten Fall, wenn keine Entzugserscheinungen auftreten, darf ein Hang jedoch nicht allein deshalb verneint werden (vgl. BGH, Beschl. v. 27.3.2008 – 3 StR 38/08, für Kokain).

 

Hinweis:

Allerdings kann das Fehlen von Entzugserscheinungen indizielle Wirkung haben. Gleiches gilt für eine sich über einen längeren Zeitraum erstreckende Substitutionsbehandlung (vgl. BGH NStZ-RR 2018, 13).

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