Ob deutsche Finanzämter eine sog. Europäische Ermittlungsanordnung erlassen können, wird derzeit vor dem EuGH verhandelt. Hintergrund ist eine rechtliche Auseinandersetzung zwischen dem Finanzamt Münster und der Staatsanwaltschaft im italienischen Trient (Rs. C-66/20).
Das Münsteraner Finanzamt wendete sich im November 2019 mit einer Ermittlungsanordnung an die italienischen Staatsanwälte, um die Durchsuchung von Geschäftsräumen in einem Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung zu erreichen. Unterzeichnet war die Anordnung vom Direktor des Finanzamts. Die italienischen Ermittler forderten allerdings noch die Validierung der Ermittlungsanordnung durch eine deutsche Justizbehörde und beriefen sich dabei auf die EU-Richtlinie 2014/41. Danach kann die Anordnung von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft getroffen und erlassen werden sowie von jeder anderen Behörde, die „in ihrer Eigenschaft als Ermittlungsbehörde in einem Strafverfahren für die Anordnung der Erhebung von Beweismitteln zuständig ist”.
Die Münsteraner Finanzbehörde ist der Auffassung, dass sie diesen Vorgaben genügt; denn nach deutschem Recht übernimmt das Finanzamt bei Steuerstraftaten die Funktion der Staatsanwaltschaft. Die italienischen Ermittler legen die Richtlinie hingegen so aus, dass eine europäische Ermittlungsanordnung in jedem Fall von einem Gericht oder einer Staatsanwaltschaft überprüft werden muss.
Entscheiden müssen jetzt die Luxemburger Europarichter. Geht es nach EuGH-Generalanwalt Sánchez-Bordona, der in der Sache bereits seinen Schlussantrag eingereicht hat, hat die italienische Staatsanwaltschaft Recht. Er lehnt in seiner Stellungnahme die Berechtigung von Verwaltungsbehörden – trotz bestehender Befugnisse in Steuerstrafsachen – ab, ohne Mitwirkung eines Richters, Gerichts oder einer Staatsanwaltschaft eine Europäische Ermittlungsanordnung auszustellen. Selbst wenn in Deutschland das Finanzamt Ermittlungsaufgaben wahrnehme, könne, so seine Argumentation, die Unabhängigkeit von der Exekutive aufgrund der Verwaltungshierarchie und dem besonderen staatlichen Interesse in Steuerangelegenheiten nicht gewährleistet werden. Daher verfüge ein Finanzamt insb. nicht über die unabdingbare Kompetenz, um die von der Richtlinie geforderte Beurteilung der Erforderlichkeit und die Abwägung der verschiedenen Interessen vorzunehmen.
Die Entscheidung des Luxemburger Gerichtshofs dürfte in einigen Monaten fallen. Sie wird in Deutschland auch deshalb mit besonderem Interesse erwartet, weil der EuGH erst vor kurzem der deutschen Staatsanwaltschaft das Recht abgesprochen hatte, Europäische Haftbefehle auszustellen (vgl. dazu auch ZAP Anwaltsmagazin 24/2020, S. 1282).
[Quelle: EuGH]