Wird gegen den Betroffenen keine Geldbuße verhängt, die 250 EUR übersteigt, so schränkt § 80 OWiG die Möglichkeit der Rechtsbeschwerde in erheblichem Umfang ein. Noch weiter eingeschränkt ist die Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG, wenn gegen den Betroffenen keine Geldbuße von mehr als 100 EUR festgesetzt worden ist und kein Fahrverbot verhängt wurde.
Nach der Rechtsprechung des VerfGH Rheinland-Pfalz (Urt. v. 15.1.2020 – VGH B 19/19) und des VerfGH Baden-Württemberg (Urt. v. 14.12.2020 – 1 VB 64/17) liegt der Zulassungsgrund des § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG vor (Fortbildung des Rechts sowie Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung), wenn das Oberlandesgericht vom Nichtbestehen eines Einsichtsrechts (dort: in vorhandene Messunterlagen) ausgehen will. Lässt es die Rechtsbeschwerde nicht zu und legt es die Sache nicht im Wege der Divergenzvorlage dem BGH vor (§ 121 Abs. 2 GVG, § 79 Abs. 3 S. 1 OWiG), so verletzt dies die Ansprüche des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz und auf den gesetzlichen Richter.
Im Übrigen kann in diesen Fällen der Betroffene nur die Versagung des rechtlichen Gehörs rügen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG).
Da nach wohl h.M. aber in den vorstehend behandelten Fällen der Verweigerung der Einsicht in Messunterlagen nicht der Schutzbereich des Anspruchs auf rechtliches Gehör berührt ist, sondern ausschließlich das Recht auf ein faires Verfahren (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2020, 69, 73 f. m.w.N.), wäre dem Betroffenen, dem im behördlichen und im amtsgerichtlichen Verfahren die Einsicht in die Messunterlagen verweigert wird, in den Zulassungsfällen die Möglichkeit einer Rechtsbeschwerde verwehrt. Das BVerfG hat in seinem Beschluss vom 12.11.2020 die Frage, ob neben dem Anspruch auf ein faires Verfahren auch das Recht auf rechtliches Gehör verletzt ist, dahinstehen lassen (a.a.O., Rn 19, 69).
Eine Zulassung der Rechtsbeschwerde könnte dann nur erfolgen, wenn man i.R.d. Auslegung des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG den Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren der Versagung des rechtlichen Gehörs gleichstellt (vgl. Cierniak/Niehaus DAR 2020, 69, 74 m.w.N.). Das wird jedoch in der Rechtsprechung der OLGe bisher abgelehnt (KG, Beschl. v. 2.4.2019 – 3 Ws [B] 97/19; offen gelassen von OLG Karlsruhe, Beschl. v. 3.4.2019 – 2 Rb 8 Ss 194/19).
Es ergäbe sich daher die Rechtsfolge, dass der Betroffene, dem die Einsicht in vorhandene Messunterlagen rechtswidrig verweigert wird, in den Zulassungsfällen keine Rechtsbeschwerde einlegen kann, sondern nach dem amtsgerichtlichen Urteil Verfassungsbeschwerde einlegen müsste, um seine Rechte zu wahren. Das widerspricht der ratio des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, der gerade dazu dienen soll, die ansonsten gegebene Erforderlichkeit einer Verfassungsbeschwerde zu vermeiden. Aus der Entscheidung des BVerfG ergeben sich daher auch weitere Argumente für eine Gleichstellung des Rechts auf ein faires Verfahren mit dem Anspruch auf rechtliches Gehör im Rahmen des § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG, wie dies auch der 58. Verkehrsgerichtstag (2020) empfohlen hat (Arbeitskreis IV, Empfehlung Nr. 6, S. 2). Mit Blick auf die Entscheidung des BVerfG und die Möglichkeit der Verfassungsbeschwerde dürfte es aber nahe liegen, dass die Behörden und Gerichte künftig auch in den Zulassungsfällen des § 80 OWiG dem Einsichtsrecht des Betroffenen genügen werden, so dass sich dann insoweit die Frage der Rechtsbeschwerdemöglichkeit nicht mehr stellt.