Die sachliche Zuständigkeit unterscheidet die Zuordnung einer Streitsache nach § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 23a, 71 GVG in erster Instanz zum Amtsgericht oder Landgericht. Die Unterscheidung erfolgt in erster Linie nach dem Wert des Streitgegenstands, welcher sich nach den Regelungen der §§ 2 ff. ZPO bestimmt. Gemäß § 23 Nr. 1 GVG ist das AG für Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert von bis zu 5.000 EUR zuständig. Das LG wird somit grds. dann in erster Instanz tätig, wenn der Streitwert den Grenzwert von 5.000 EUR überschreitet (§ 71 Abs. 1 GVG). Daneben sind jedoch eine Reihe von Spezialzuweisungen zu berücksichtigen.
a) Zuständigkeitsstreitwert
Der für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit nach den Vorschriften des §§ 2 ff. ZPO zu bemessene Streitwert ist der sog. Zuständigkeitsstreitwert. Die Festsetzung des Zuständigkeitsstreitwerts erfolgt grds. nach freiem Ermessen von dem Gericht in den Urteilsgründen oder durch einen gesonderten Beschluss (§ 3 ZPO). Damit ist jedoch nicht verbunden, dass das Gericht einen beliebigen Betrag bestimmen kann. Der Streitwert wird durch den Streitgegenstand (vgl. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO: Antrag samt Lebenssachverhalt) bestimmt. Entscheidend ist das, was die Partei begehrt und mit ihrem Angriff erreichen will. Daher bestimmt sich der Zuständigkeitsstreitwert nach dem Interesse des Klägers oder Antragstellers, welches anhand des Klageantrags in der Klageschrift oder der Antragsschrift ermittelt wird (§ 253 Abs. 3 Nr. 2 ZPO; s. BVerfG, Urt. v. 22.10.1996 – XI ZR 249/95, NJW 1997, 311, 312; vgl. auch m.w.N. Wendtland in: Vorwerk/Wolf, BeckOK ZPO, 47. Aufl. 2022, § 3 ZPO, Rn 1; Bendtsen in: Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 3 ZPO, Rn 2.1).
Hinweis:
Das Vorbringen des Beklagten und sein Interesse an der Abweisung der Klage spielen hierbei keine Rolle. Auch die Erfolgsaussichten der jeweiligen Klage oder des jeweiligen Antrags sind nicht von Bedeutung für die Bestimmung des Zuständigkeitsstreitwerts (vgl. m.w.N. Wendtland, a.a.O., § 3 ZPO, Rn 1; Bendtsen, a.a.O., § 3 ZPO, Rn 2.1).
Handelt es sich um eine Zahlungsklage, entspricht der Zuständigkeitsstreitwert dem geforderten Betrag (auch Schmerzensgeld). Nebenforderungen (wie Zinsen oder Kosten) bleiben gem. § 4 Abs. 1 Hs. 2 ZPO unberücksichtigt. In § 6 ZPO bis § 9 ZPO wird die Bemessung des Zuständigkeitsstreitwerts in Einzelfragen noch einmal konkretisiert. Dabei sind sog. nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten besonders zu betrachten. Die Normen in §§ 2 ff. ZPO sehen zur Bemessung des Streitwerts bei nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten keine gesonderten Regelungen vor. Infolgedessen erfolgt eine analoge Anwendung der besonderen Vorschriften zur Bemessung des Gebührenstreitwerts im Gerichtskostengesetz. Nach § 48 Abs. 2 GKG ist der Streitwert in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach Ermessen zu bestimmen. Dabei sind insb. der Umfang und die Bedeutung der Sache sowie die Vermögens- und Einkommensverhältnisse der Parteien zu berücksichtigen. Wenn der Sach- und Streitstand keine genügenden Anhaltspunkte für die Bestimmung des Streitwerts bietet, ist gem. § 52 Abs. 2 GKG ein Streitwert von 5.000 EUR anzunehmen. Dementsprechend ist nach § 23 Nr. 1 GVG i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG analog im Zweifel das AG zuständig (vgl. z.B. m.w.N. Bendtsen, a.a.O., § 3 ZPO, Rn 2.1, 3).
Im Interesse der Verfahrens- und Rechtssicherheit ist gem. § 4 Abs. 1 Hs. 1 ZPO der maßgebliche Zeitpunkt für die Berechnung des Zuständigkeitsstreitwerts der Tag der Einreichung der Klage- oder Antragsschrift (dazu Wendtland, a.a.O., § 4 ZPO, Rn 2; Bendtsen, a.a.O., § 4 ZPO, Rn 1). Somit wirken sich grds. nachträgliche Wertänderungen nicht auf die durch die Rechtshängigkeit begründete Zuständigkeit des Prozessgerichts aus (§ 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass Änderungen des Streitgegenstands und damit verbundene Anpassungen des Zuständigkeitsstreitwerts Auswirkungen auf die sachliche Zuständigkeit haben können (z.B. §§ 264 Nr. 2 und 3 ZPO, 256 Abs. 2 ZPO oder Widerklage i.S.v. § 33 ZPO). Wirkt sich diese Anpassung dahingehend aus, dass die Grenze der amtsgerichtlichen Zuständigkeit nach § 23 Nr. 1 GVG überschritten ist, hat das AG auf Antrag gem. § 506 Abs. 1 ZPO den Rechtsstreit an das LG zu verweisen. Dagegen bleiben nachträgliche Verminderungen des Streitgegenstands im Fall einer Prozesstrennung (§ 145 ZPO) oder Erlass eines Teilurteils (§ 301 ZPO) ohne Auswirkung auf die sachliche Zuständigkeit. Ebenfalls hat die Verbindung mehrerer Prozesse i.S.v. § 147 ZPO keinen Einfluss auf den Zuständigkeitsstreitwert (s. m.w.N. Wendtland, a.a.O., § 4 ZPO, Rn 4, 5; Bendtsen, a.a.O., § 4 ZPO, Rn 2).
b) Spezialzuweisungen
Neben dem Zuständigkeitsstreitwert sind für die Bestimmung der sachlichen Zuständigkeit in Zivilsachen auch eine Reihe von Spezialzuweisungen zu berücksichtigen.
In § 23 Nr. 2 GVG ist eine Aufzählung von Streitigkeiten enthalten, die die ausschließliche Zuständigkeit des AG unabhängig vom Streitwert regelt. Beispielhaft ist das...