Der anwaltlich nicht vertretene Kläger hatte im Berufungsverfahren, nachdem er zum Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.9.2021 geladen worden war – ohne Anordnung seines persönlichen Erscheinens –, unter Hinweis auf eine einschlägige Entscheidung des BSG die Bereitstellung von Reisekosten für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung als Mittelloser gestellt. Eine PKH-Bewilligung bestand nicht. Dem Schreiben beigefügt war eine ausgefüllte und unterschriebene Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse für Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe sowie ein aktueller Bewilligungsbescheid über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Das LSG lehnte den Antrag durch Beschl. v. 17.8.2021 ab. Die Voraussetzungen nach § 191 SGG lägen mangels Anordnung des persönlichen Erscheinens nicht vor. Das Berufungsverfahren habe keine ausreichenden Erfolgsaussichten, ferner sei die Bedürftigkeit nicht nachgewiesen, da seine Angaben widersprüchlich seien – in der Erklärung habe er angegeben, über kein Girokonto zu verfügen, dagegen folge aus dem SGB II-Bescheid, dass Leistungen auf ein Bankkonto überwiesen würden. Der Beschluss enthielt den Hinweis auf dessen Unanfechtbarkeit nach § 177 SGG.
Hinweis:
Wenn mittellose Beteiligte die Gewährung von Reisekosten für die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung beanspruchen, können drei unterschiedliche Normen in Betracht kommen:
- § 191 SGG, der aber voraussetzt, dass entweder das persönliche Erscheinen angeordnet worden war oder wenn ein Beteiligter ohne Anordnung erscheint und das Gericht das Erscheinen (nachträglich) für geboten hält (s. hierzu etwa die Kommentierung bei MKS/Schmidt, SGG zu § 191);
- § 122 ZPO bei Bewilligung von PKH (s. hierzu näher etwa Hk-ZPO/Kießling, § 122 Rn 10 m.w.N.);
- schließlich in anderen Fällen – so auch vorliegend – die jeweilige landesrechtliche Regelung zur (bundeseinheitlichen) „Verwaltungsvorschrift über die Gewährung von Reiseentschädigungen” (VwV Reiseentschädigung), die vor allem Mittellosigkeit des Beteiligten voraussetzt (s. bereits BSG 25.6.2021 – B 13 R 94/20 R, juris Rn 8 f.).
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers war zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und Zurückverweisung der Sache begründet, § 160a Abs. 5 SGG (BSG 25.4.2023 – B 7 AS 119/22 B, NZS 2023, 703 mit Anm. Bienert, NZS 2023, 705). Das Urteil des LSG beruht auf einem vom Kläger hinreichend bezeichneten (§ 160a Abs. 2 S. 3 SGG) Verfahrensmangel i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 3 SGG. Der Verfahrensmangel besteht darin, dass das LSG unter Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 62 SGG) ergangen ist. Das LSG habe, so das BSG, ohne rechtfertigenden Grund das klägerische Anliegen übergangen, indem es den Antrag auf Gewährung von Reisekosten abgelehnt hat. Der Hinweis auf nicht ausreichende Erfolgsaussichten des Rechtsmittels lasse sich als Voraussetzung der VwV Reiseentschädigung gerade nicht entnehmen. Im Übrigen habe der Kläger seinerseits alles getan, um sich Gehör zu verschaffen. Er habe auch keine Obliegenheit verletzt und insb. seine Mittellosigkeit dargelegt. Nachfragen – etwa im Hinblick auf das vom Kläger für die unbare Auszahlung des Alg II verwendete Konto, das nach seinen Angaben in PKH-Verfahren vor dem BSG einem Dritten gehört – hat das LSG nicht gestellt. Das Gericht sieht den Kläger insb. auch nicht als verpflichtet an, das LSG nach Ablehnung des Antrages erneut auf die Möglichkeit der Gewährung einer Reiseentschädigung nach der VwV Reiseentschädigung hinzuweisen, nachdem er in seinem Antrag sogar schon auf einen einschlägigen Beschluss des BSG (4.3.2021 – B 4 AS 308/20 B) Bezug genommen hatte.
Schließlich führt das BSG aus, dass die Entscheidung des LSG – Zurückweisung der Berufung – auch auf diesem Verfahrensfehler beruhen kann. Grundsätzlich bedarf es, so std. Rspr. des BSG, keines vertieften Vortrages zum „Beruhen-Können” des angegriffenen Urteils auf dem Verfahrensfehler, wenn ein Kläger behauptet, um sein Recht auf eine mündliche Verhandlung gebracht worden zu sein. Wegen der besonderen Wertigkeit der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen Verfahrens genügt es, dass eine andere Entscheidung nicht auszuschließen ist, wenn der Betroffene Gelegenheit gehabt hätte, in der mündlichen Verhandlung vorzutragen (so Rn 13 des Beschl. unter Hinweis auf BSG 19.12.2017 – B 1 KR 38/17 B, juris Rn 8 m.w.N.). Eine solche Konstellation wird hier aufgrund des Vortrags des Klägers im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde angenommen.