Ausschluss der Sozialplanabfindung bei befristeter voller Erwerbsminderungsrente
Bereits 2012 hat der EuGH (Urt. v. 6.12.2012 – C-152/11, NZA 2012, 1435) die unionsrechtliche Vereinbarkeit der Differenzierung in rentennahe und rentenferne Jahrgänge bei der Bemessung von Sozialplanleistungen mit Art. 2 Abs. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 EG (sog. Gleichbehandlungsrichtlinie) bejaht. Zugrunde lag der Fall eines über 54 Jahre alten schwerbehinderten Arbeitnehmers, dessen Sozialabfindung auf der Grundlage frühestmöglichen Rentenbezugs und gedeckelt auf die Hälfte der Standardformel begrenzt war. Auch das BVerfG (Beschl. v. 25.3.2015 – 1 BvR 2803/11, NZA 2015, 1248) hält das Urteil des Ersten Senats des BAG (BAG, Urt. v. 7.6.2011 – 1 AZR 34/10, NZA 2011, 1370) für verfassungsgemäß.
Dem BVerfG lag zur Überprüfung ein Sozialplan vor, der eine Abfindungsregelung für die von einer Betriebsstilllegung betroffenen Arbeitnehmer vorsah. Ausgenommen waren jedoch diejenigen Arbeitnehmer, die eine befristete volle Erwerbsminderungsrente beziehen und deren Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht absehbar ist, weil eine mindestens dreijährige Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Der vom Ausschluss betroffene, schwerbehinderte Beschwerdeführer rügte mit seiner Verfassungsbeschwerde, das klageabweisende Urteil verletze sein Grundrecht aus Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG.
Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, weil die Revisionsentscheidung des BAG verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Ob eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Betriebsparteien an den Gleichheitssatz nach Art. 3 GG beim Abschluss von Betriebsvereinbarungen vorliegt, konnte die Kammer offen lassen. Prüfungsmaßstab ist, ob die fachgerichtliche Auslegung und Anwendung der Vorschriften den Schutzzweck von Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG grundlegend verfehlt, weil die wertsetzende Bedeutung der Grundrechte verkannt wird. Nicht zu prüfen ist, ob die Auslegung den bestmöglichen Schutz gewährleistet. Ausgangspunkt der Prüfung ist die Beurteilung des BAG, der Sozialplan unterliege dem Maßstab des § 75 BetrVG, der entsprechend den Vorschriften des AGG zu verstehen sei. Danach liegt keine Benachteiligung des Beschwerdeführers i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG oder nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vor, weil zwar alle Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren, der Beschwerdeführer nicht jedoch sein Einkommen. Die Erwerbsminderungsrente bleibt durch den Wegfall des Arbeitsplatzes unberührt. Deshalb liegt eine vergleichbare Situation der Erwerbsgeminderten, mit den von dem Sozialplan Begünstigten nicht vor. Die Sozialplanabfindung habe eine ausschließlich zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion und keine Entschädigungsfunktion für den Verlust des Arbeitsplatzes.
Auch eine Benachteiligung aus Gründen der Behinderung i.S.v. Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG vermochte das BVerfG bei gebotener Einzelfallbetrachtung nicht zu erkennen. Zwar sei diese bei einem Ausschluss von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten gegeben, wenn der Ausschluss nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme kompensiert wird. Eine hinreichende Kompensation liegt indessen vor. Selbst soweit zwischen der Höhe der Abfindung und der erwartbar dauerhaft gezahlten Erwerbsminderungsrente eine Differenz zum Nachteil des Beschwerdeführers besteht, steht dies der Annahme einer hinlänglichen Kompensation nicht entgegen. Bei der Ausgestaltung betrieblicher Vereinbarungen verfügen die Betriebsparteien über einen weiten Einschätzungsspielraum, der auch typisierende Prognosen über wirtschaftliche Nachteile umfasst: Zum einen dürfen die Betriebsparteien davon ausgehen, dass rentenberechtigte Arbeitnehmer wirtschaftlich abgesichert seien. Zum anderen ist die Beurteilung, nach dreijähriger arbeitsunfähiger Erkrankung sei – auch bei nur befristetem Bezug einer Erwerbsminderungsrente – keine Abfindung zu zahlen, nicht zu beanstanden. Zuletzt hält sich die Prognose einer dauerhaften oder jedenfalls unabsehbar nicht behebbaren Arbeitsunfähigkeit, insbesondere auch mit Blick auf die BAG-Rechtsprechung zur krankheitsbedingten Kündigung, im Rahmen einer zulässigen typisierenden Betrachtungsweise.
Hinweise:
- Sozialpläne nehmen häufig Differenzierungen vor. Die vorliegende Entscheidung schafft Rechtssicherheit in Abgrenzung zur Rechtsprechung des EuGH, nach der nicht an die Möglichkeit des Bezugs einer vorzeitigen Altersrente wegen Behinderung angeknüpft werden darf (EuGH, Urt. v. 6.12.2012 – C-152/11 "Odar"). (1) Das ist, wie das BVerfG nun bestätigt, im Falle des Bezugs einer vollen Erwerbsminderungsrente als Anknüpfung für die Berechnung einer Sozialplanabfindung nicht der Fall. (2) Weiter hat das BAG "Alterszuschläge" für ältere Beschäftigte, die zusätzlich zu der Grundabfindung bezahlt werden, als zulässig angesehen. § 10 S. 3 Nr. 6 AGG sieht insoweit für das Merkmal "Alter" eine Ausnahme vom gesetzlichen Diskriminierungsverbot vor (vgl. BAG, Urt. v. 12.4.2011 – 1 AZR 7...