Das Coronavirus hat auch in der Justiz nahezu zum "Stillstand der Rechtspflege" geführt. Alle Termine in Zivilsachen sind aufgehoben worden, auch in Familiensachen finden keine Termine statt. Dieser Zustand könnte beseitigt oder zumindest entschärft werden, wenn von der Möglichkeit des schriftlichen Verfahrens gem. § 128 Abs. 2 ZPO Gebrauch gemacht wird.
Ein Richter prüft seine Zuständigkeit zunächst mit der saloppen Frage: "Warum gerade ich?". Anschließend sollte die Frage gestellt werden: "Was spricht gegen ein schriftliches Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO?". Die früher üblichen "Durchrufverfahren", bei denen 20 Sachen auf dieselbe Uhrzeit terminiert wurden, gehören erfreulicherweise der Vergangenheit an. Gleichwohl gibt es eine Vielzahl von Terminen zur mündlichen Verhandlung, die weder zu einer gütlichen Beilegung des Rechtsstreits noch zu neuen Erkenntnissen beitragen können.
Soweit im Rechtsstreit nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist, bietet sich das schriftliche Verfahren geradezu an, ebenso bei Verkehrsunfallprozessen, in denen ein Sachverständigengutachten zur Rekonstruktion eingeholt werden soll. Die Vernehmung von Zeugen erübrigt sich dann oft, wenn der Sachverständige aufgrund der Anknüpfungstatsachen bereits festgestellt hat, ob und inwieweit der Sachvortrag des Klägers oder der Sachvortrag der Beklagten zutreffend ist. Erst recht ist in Berufungssachen ein schriftliches Verfahren sinnvoll, da der Sachverhalt in den meisten Fällen bereits feststeht und nur noch geprüft wird, ob und inwieweit die rechtliche Würdigung des Sachverhalts durch das Gericht erster Instanz zutreffend vorgenommen worden ist.
Ebenso ist bei einverständlichen Scheidungen das schriftliche Verfahren denkbar, da sich die mündliche Verhandlung im Regelfall auf die Fragen nach dem Personalausweis, dem Einkommen und dem Trennungszeitpunkt beschränkt. Die richterliche Tätigkeit verlagert sich somit vom Richtertisch auf den (häuslichen) Schreibtisch. Die meisten Gerichte machen von der Möglichkeit des schriftlichen Verfahrens keinen Gebrauch, da es zunächst der richterlichen Arbeitserleichterung dient, einen Termin zur mündlichen Verhandlung "in weiter Ferne" zu bestimmen.
Bei einem schriftlichen Verfahren tritt § 139 Abs. 4 ZPO in den Vordergrund. Nach dieser Vorschrift müssen Gerichte "so früh wie möglich" auf Bedenken aufmerksam machen und eine Partei auf Gesichtspunkte hinweisen, die erkennbar übersehen worden sind. Gerade diese Vorschrift wird in den meisten Verfahren missachtet, richterliche Hinweise im Termin zur mündlichen Verhandlung sind üblich, aber verspätet. Rechtsanwälte müssen bei einem schriftlichen Verfahren auch keine Gebühreneinbußen befürchten, da die Verhandlungsgebühr auch dann anfällt, wenn im schriftlichen Verfahren entschieden wird. Zur Beschleunigung eines Verfahrens ist es daher sinnvoll, wenn – soweit die Sache sich eignet – bereits mit der Klageschrift ein Antrag auf Durchführung im schriftlichen Verfahren gem. § 128 Abs. 2 ZPO gestellt wird.
Besondere Situationen bedürfen auch besonderer Maßnahmen, die jedoch dann nicht erforderlich sind, wenn eine bereits vorhandene Ressource – namentlich das schriftliche Verfahren – sinnvoll genutzt wird.
Autor: Rechtsanwalt Dr. Hubert W. van Bühren, Köln
ZAP F., S. 435–435