Die Folgen der vorstehend dargestellten Rechtsprechung dürften v.a. für Inkassounternehmen und Rechtsanwälte erheblich sein, da sie eine gesteigerte Gefahr bei der Bearbeitung von Inkassoaufträgen bzw. Mandaten bedeuten. Die nachfolgend behandelten Beispielsfälle betreffen wegen der Haftungsregelung in § 8 Abs. 2 UWG den (vermeintlichen) Vertragspartner sowie einen ggf. beauftragten Rechtsdienstleister (Inkassounternehmen oder Rechtsanwalt) gleichermaßen. Bei den rechtsdienstleistenden Berufen ergeben sich allerdings gewisse Bedenken, ob diese nicht bei gewissen „extremen” Fallkonstellationen in ihrer Berufsausübung unverhältnismäßig eingeschränkt werden. Das OLG Hamburg hat die vorstehend in III. 4. angesprochene Verhältnismäßigkeit aus der Sicht der Auftraggeberin der Beklagten betrachtet, nicht hingegen mit Blick auf die Funktionsweise und die rechtlichen Rahmenbedingungen eines Inkassounternehmens (oder eines Rechtsanwalts).
1. Denkbare Fallkonstellationen
Bekannt geworden sind einschließlich der eingangs erwähnten beiden Urteile des OLG Hamburg fünf Entscheidungen (zwei davon ergingen gegen Inkassounternehmen) mit folgenden Sachverhalten – alle Verbraucher als Kunden betreffend:
- Aktivierung von Vertragsmodulen ohne Kenntnis und Zustimmung des Kunden: Es ging um SIM-Karten, auf denen Internetzugangs- und Mailboxsysteme vorinstalliert und aktiviert sind, ohne dass der Verbraucher zuvor darüber und über die Kosten aufgeklärt wurde. Die Kosten für die Benutzung wurden dem Nutzer in Rechnung gestellt, wenn die Dienste nicht auf seinen ausdrücklichen Wunsch abgestellt worden waren, und zwar ohne dass der Nutzer zuvor darüber aufgeklärt worden war, dass es diese Dienste gab oder sie dann kostenpflichtig waren (EuGH, Urt. v. 13.9.2018 – C-54/17 und C-55/17).
- Falsche Auskunft im Vertragsverhältnis: Eine Anbieterin von Kabelfernsehdiensten teilte einem langjährigen Kunden, der kündigen wollte und danach fragte, auf welchen Zeitraum sich eine ihm zugegangene Rechnung beziehe (Zeitraum ging aus der Rechnung nicht hervor), aufgrund eines (angeblichen) Bearbeitungsfehlers einen falschen Abrechnungszeitraum mit (EuGH, Urt. v. 16.4.2015 – C-388/13 – Ungarische Verbraucherschutzbehörde).
- Kostenpflichtiger Vertrag über ein E-Mail-Postfach, beruhend auf einem „Identitätsdiebstahl”: Der Diensteanbieter forderte für einen tatsächlich nicht bestehenden Vertrag über ein Inkassounternehmen und nachfolgend noch durch einen Rechtsanwalt die Vergütung sowie Kostenerstattung, nach weiterer Prüfung wurden die Forderungen storniert (BGH (Urt. v. 6.6.2019 – I ZR 216/17 – Identitätsdiebstahl, ZAP EN-Nr. 631/2019).
- Überhöhte Einforderung von Inkassokosten betreffend eine Onlinebestellung: Ein Inkassounternehmen hatte für seinen Auftraggeber (Online-Apotheke) dessen Anspruch auf Erstattung von Inkassokosten in einer nicht gerechtfertigten Höhe geltend gemacht (OLG Hamburg, Urt. v. 11.6.2020 – 15 U 88/19).
- Inkassomahnschreiben wegen Forderung aus – tatsächlich nicht bestehendem – Mobilfunkvertrag: Ein Inkassounternehmen hatte auftragsgemäß Ansprüche aus einem Mobilfunkvertrag geltend gemacht. Nach Beweisaufnahme vor dem Berufungsgericht klärte sich (endgültig), dass dieser nicht zustande gekommen war (OLG Hamburg, Urt. v. 28.1.2021 – 15 U 128/19, ZAP EN-Nr. 128/2021) – damit befasst sich dieser Beitrag.
Um die Reichweite des Begriffs der geschäftlichen Handlung (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG) im Zusammenhang mit der Behandlung und Bearbeitung von Rechtsfällen noch transparenter zu machen, kann auf zwei BGH-Urteile (v. 25.4.2019 – I ZR 93/17 – Prämiensparvertrag; v. 10.1.2013 – I ZR 190/11 – Standardisierte Mandatsbearbeitung) Bezug genommen werden. In diesen Fällen hatten die Klagen und die Revisionen zwar keinen Erfolg. Aber der BGH hat einige beispielhafte Situationen angeführt, die einen Unterlassungsanspruch wegen Irreführung (§ 5 UWG), der sich auf Verbraucher und andere Marktteilnehmer erstreckt, begründen können:
- Ausführungen zur Rechtslage, wenn diese nicht als Äußerung einer Rechtsansicht, sondern als Feststellung zu verstehen sind. Im konkreten Fall ging es um ein Kündigungsschreiben und seine rechtlichen Folgen (BGH – Prämiensparverträge, Rn 32).
- „objektiv falsche rechtliche Auskunft eines Unternehmers, die er auf eine ausdrückliche Nachfrage des Verbrauchers erteilt” (BGH – Prämiensparverträge, Rn 32).
- Systematische Schlechtleistung, die bei Vertragsabschluss verschwiegen wird (BGH – Standardisierte Mandatsbearbeitung, Rn 28).
- Bereitschaft, sich über das Lügeverbot (§ 43a Abs. 3 S. 2 BRAO) hinwegzusetzen, um Mandate zu generieren (BGH – Standardisierte Mandatsbearbeitung, Rn 28).
- Bestreiten eines Mangels oder einer Zahlungsaufforderung, um Kunden von der Gelendmachung von Gewährleistungsrechten abzuhalten, wobei bloße „Reflexwirkungen” nicht genügen (BGH – Standardisierte Mandatsbearbeitung, Rn 26, 29).
Die Entscheidung des BGH „Prämiensparverträge” zeigt, wie schmal der Grat zwischen einer Meinungsäußerung in einem Rechtsfall und einer Feststellung ist, wenn z.B. ein...