I. Existenzsicherungsrecht
1. Kostensenkungsverfahren bei unangemessenen Heizkosten
In der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden "Bedarfe für Unterkunft und Heizung [...] in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit sie angemessen sind" (§ 22 Abs. 1 S. 1 SGB II). Zu übernehmen sind auch einmalige Unterkunfts- und Heizungskosten (BSG, Urt. v. 16.12.2008 – B 4 AS 49/07 R, BSGE 102, 194 Rn 25, z.B. Heizkostennachzahlungen). Unangemessene Aufwendungen werden i.d.R. nur für längstens sechs Monate übernommen (§ 22 Abs. 1 S. 3 SGB II). Will das Jobcenter die zu übernehmenden Unterkunftskosten auf die angemessene Höhe absenken, muss ein sog. Kostensenkungsverfahren vorausgehen (näher hierzu unten). In der hier zu besprechenden Entscheidung des BSG, Urt. v. 19.5.2021 (B 14 AS 57/19 R; hierzu J. Becker NZS 2021, 897 und G. Becker jurisPR-SozR 19/21 Anm. 1) war v.a. strittig, ob auch vor der Absenkung der Leistung für Heizungskosten ein Kostensenkungsverfahren durchgeführt werden muss. Weitere Gegenstände der Entscheidung sind die Übernahme von Unterkunfts- und Heizungskosten für eine Wohnung, die die leistungsberechtigte Person im Zeitpunkt der Fälligkeit dieser Kosten nicht mehr bewohnt, sowie die Bemessung der angemessenen Heizungskosten.
Der Beklagte erbrachte für die 2005, 2006 und 2008 geborenen Klägerinnen und ihre Mutter von September 2009 bis zum 5.1.2011 Leistungen für Heizungskosten. Nach einem vom Beklagten bewilligten Umzug am 6.1.2011 wurden nur noch der Mutter Leistungen nach dem SGB II im Zeitraum vom 1.1. bis 30.6.2011 bewilligt. Die Klägerinnen erhielten dagegen wegen übersteigenden Einkommens, u.a. aus Kinderwohngeld, keine Leistungen nach dem SGB II. Im April 2011 verlangte der Vermieter der früheren Wohnung eine am 1.5.2011 fällige Heizungskostennachzahlung i.H.v. 680,35 EUR. Der Beklagte lehnte zunächst in einem nur an die Mutter der Klägerinnen gerichteten Bescheid die Übernahme des über 148,58 EUR liegenden Anteils wegen Unangemessenheit ab. Das LSG hatte das der Klage der Klägerinnen stattgebende Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Die Heizungskostennachforderung beruhe auf offensichtlich grob unwirtschaftlichem Verhalten. Eine Kostensenkungsaufforderung hielt es für entbehrlich. Dieses sei nur erforderlich, wenn die unangemessenen Heizungskosten auf der unangemessenen Wohnungsgröße beruhten. Mit der Revision rügten die Klägerinnen eine Verletzung von § 22 Abs. 1 S. 3 SGB II.
Zunächst war zu klären, ob eine Heizungskostennachforderung für eine Wohnung zu übernehmen ist, die nicht mehr von den Leistungsberechtigten bewohnt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG sind die angemessenen Aufwendungen für die Heizung grds. für die Unterkunft anzuerkennen, mit der der aktuelle Unterkunftsbedarf tatsächlich gedeckt wird (BSG, Urt. v. 25.6.2015 – B 14 AS 40/14 R, NZS 2015, 832 Rn 15 m.w.N.). Zu übernehmen sind außerdem Nachforderungen des Vermieters, die vor dem Leistungsbezug tatsächlich entstanden sind, wenn die leistungsberechtigte Person im Zeitpunkt der Fälligkeit noch in derselben Unterkunft lebt (BSG, Urt. v. 25.6.2015 – B 14 AS 40/14 R, NZS 2015, 832 Rn 16). Nachzahlungen für eine Wohnung, in der die leistungsberechtigte Person nicht mehr lebt, sind zu übernehmen, wenn die leistungsberechtigte Person durchgehend im Leistungsbezug stand (BSG, Urt. v. 30.3.2017 – B 14 AS 13/16 R, NZM 2018, 214), die Unterkunft gewechselt wurde, um einer Kostensenkungsaufforderung nachzukommen und der Bedarf nicht anderweitig gedeckt ist (BSG, Urt. v. 25.6.2015 – B 14 AS 40/14 R, NZS 2015, 832 Rn 22 m.w.N.). Das BSG begründet dies mit der Verknüpfung der Nebenkostennachforderung mit dem aktuellen Bedarf für die Unterkunft (Rn 19 der Urteilsgründe).
Die Nachforderungen sind nach der Rechtsprechung des BSG auch dann zu übernehmen, wenn der Bedarf von Kindern durch vorrangiges (§ 12a SGB II) Kinderwohngeld gedeckt ist (BSG, Urt. v. 8.5.2019 – B 14 AS 15/18 R, NJW 2019, 3542 Rn 22). Dies gilt selbst dann, wenn wegen der Anrechnung des Kinderwohngeldes kein einheitlicher Leistungsfall vorliegt. Ansonsten würde nach Auffassung des BSG der Gesetzeszweck des Kinderwohngeldes, die Kinder besser zu stellen, in ihr Gegenteil verkehrt werden (Rn 19 der Urteilsgründe).
Hinweis:
Nach § 7 Abs. 2 S. 2 i.V.m. Abs. 1 S. 3 Nr. 2 Buchst. a WoGG sind Kinder von ALG-II-Beziehern nicht vom Wohngeld ausgeschlossen, wenn ihr weiteres Einkommen ergänzendes Wohngeld Hilfebedürftigkeit i.S.v. SGB II vermeidet. Insoweit spricht man von Kinderwohngeld. Die Kinder sollen hiermit bessergestellt werden (BSG, Urt. v. 8.5.2019 – B 14 AS 15/18 R, NJW 2019, 3542 Rn 22). Das BSG rechnet das Kinderwohngeld nicht bei der wohngeldberechtigten Person, d.h. der Person, die die Wohnung gemietet hat, sondern beim Kind an, soweit es zur Deckung von dessen Bedarf benötigt wird (BSG, Urt. v. 16.6.2018 – B 14 AS 37/17 R). Zur Begründung verwies es auf § 40 WoGG, nach dem "das einer vom Wohngeld ausgeschlossenen wohngeldberechtigten Person bewilligte Wohngeld [...] bei Sozialleistungen nicht als deren Einkommen zu berücksi...