Hinweis:
Der Bundesrat hat bereits mehrfach durch Gesetzesanträge zur Einrichtung sog. Commercial Courts die Initiative ergriffen (BR-Drucks 42/10; BR-Drucks 93/14; BR-Drucks 53/18; BR-Drucks 219/21) und nunmehr das BMJ: siehe jüngst den (undatierten) Referentenentwurf des BMJ, der via Pressemitteilung/Newsletter v. 25.4.2023 vorgestellt worden ist ( https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Commercial_Courts.html ).
1. Die Diskussion hatte bereits wieder neue Fahrt aufgenommen, wobei sich auch die im Bund regierende Ampelkoalition die Einführung von englischsprachigen Spezialspruchkörpern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten auf die Fahne geschrieben hat (vgl. den Koalitionsvertrag 2021–2025 der Regierungsfraktionen „Mehr Fortschritt wagen”, S. 84: „Wir ermöglichen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten.”). So liegt mittlerweile seit dem 25.4.2023 ein Referentenentwurf (RefE) des BMJ vor, der verschiedene Vorarbeiten aufgreift. So wurde am 11.3.2022 ein im Bundesrat von den Ländern Nordrhein-Westfalen und Hamburg vorgelegter „Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten” (mit urspr. Datum v. 22.2.2022) neu eingebracht (vgl. BR-Drucks 79/22; s.a. BT-Drucks 20/1549, BT-Drucks 20/4334). Mit einem neuen § 119b GVG-E sollte den Ländern danach die Möglichkeit eröffnet werden, an einem OLG Senate einzurichten, vor denen Handelssachen mit einem internationalen Bezug und einem Streitwert von über zwei Mio. EUR bei entsprechender Gerichtsstandsvereinbarung i.S.v. § 38 Abs. 1 ZPO auch erstinstanzlich geführt werden können (sog. Commercial Courts). Dabei sollte gewährleistet sein, dass die Verfahren vor diesen Spruchkörpern ganz oder teilweise in englischer Sprache geführt werden können. In einem § 119 GVG-E sollte es eine Entsprechung für rein nationale Handelssachen bei gleicher Streitwerthöhe und Parteivereinbarung geben. Mit dem o.g. Eckpunktepapier des BMJ wurde das Interesse an dem Vorhaben aus Sicht der Bundesregierung dann bekräftigt und Anpassungen gegenüber dem letzten BR-Entwurf vorgeschlagen (s. insb. die Absenkung der Streitwertgrenze von 2 auf 1 Mio. EUR; s.a. BMJ-RefE, dort S. 1). Vor dem RefE wurde der o.g. BR-Gesetzentwurf im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestags am 1.3.2023 unter Hinzuziehung von Sachverständigen (aus Praxis und Wissenschaft, s. u.a. die Stellungnahme der BRAK, Dr. M. Weigel, vom Februar 2023, https://www.bundestag.de/resource/blob/935436/8965cf55c991a3f0dc89243e55ec1a5b/Stellungnahme-Weigel_BRAK-data.pdf) diskutiert.
Hinweis:
Zahlreiche Bundesländer, u.a. Baden-Württemberg und Hamburg, haben hinsichtlich der Einführung solcher Spruchkörper bereits vorgegriffen. Am LG Stuttgart (49. Zivilkammer als „Wirtschaftszivilkammer”), am LG Hamburg (Kammer für internationale Handelssachen) sowie am LG Berlin (Kammer für internationale Handels- und Wettbewerbssachen sowie Kammer für internationale Baustreitigkeiten und allgemeine Zivilsachen) können derzeit bereits große Wirtschafts-Zivilverfahren in erster Instanz in Spezialkammern in englischer Sprache – als lingua franca des internationalen Handelsverkehrs – geführt werden (wobei dies de lege lata u.U. nur über eine erweiternde Auslegung des § 185 Abs. 2 GVG ermöglicht wird). Die OLG Stuttgart und Karlsruhe haben zudem auch entsprechende Rechtsmittelinstanzen eingerichtet (s. hierzu Geschäftsverteilungsplan OLG Stuttgart 2023, S. 28, Geschäftsverteilungsplan OLG Karlsruhe 2023, S. 15, www.commercial-court.de/standorte ). Auch am LG Frankfurt a.M. wurde bereits im Jahr 2018 eine Spezialkammer für internationale Handelssachen eingerichtet, in der die Verhandlungen auf englischer Sprache nach vorherigem Antrag der Parteien geführt werden. Für alle diese höchst heterogenen Modelle ist hier zusammenfassend auf die beiden – durchaus unterschiedlichen – grds. Konzepte hinzuweisen: Die geschäftsverteilungsplanmäßige Zuweisung an Spezialspruchkörper erfolgt zum einen anhand von hohen Streitwerten, z.T. auch mit fremdsprachlicher Verhandlungskompetenz, sowie zum anderen kraft internationalen Bezugs der Streitsache samt Spracheinigung der Parteien.
2. Wesentlicher Gegenstand der bisher diskutierten Modelle ist die Wahlmöglichkeit der englischen Sprache als Gerichtssprache, jeweils beschränkt auf ausgewählte Gerichte (LG/OLG) und in bestimmten Handelsstreitigkeiten. Die Parteien müssen sich jedoch über die Verfahrenssprache einig sein und es muss ein sachlicher Grund (z.B. Sprachkenntnisse der Parteien) vorliegen. Die verabredete Verfahrenssprache soll für sämtliche Instanzenzüge gelten. Des Weiteren sollen die Länder die Möglichkeit bekommen, für große Handelssachen erstinstanzliche Spezialsenate bei den OLG (vgl. zur bisherigen Spezialisierung bereits § 119a GVG) einzurichten – die sog. Commercial Courts. Die Commercial Courts sollen auch in zweiter Instanz als Berufungsgerichte für die LG für englischsprachige Verhandlungen zuständig...