„Wir erleben eine Zeitenwende”, hat unser Bundeskanzler Olaf Scholz am 27.2.2022 resümiert. Dem kann nach Ansicht des Verfassers dieser Kolumne, eines in München tätigen Rechtsanwalts mit Schwerpunkt im Arbeitsrecht, seit dem 15.2.2023 durchaus auch im Bereich der Rechtspflege beigepflichtet werden.
Was ist passiert?
Bis zu dem genannten Tag hatten die Landesarbeitsgerichte in Bayern in der Vergangenheit stoisch und zuletzt in gänzlicher Einsamkeit zugunsten des bayerischen Fiskus entschieden, dass der Prozessvertreter einer unbemittelten Partei, der Prozesskostenhilfe bewilligt ist, bei Abschluss des Verfahrens durch einen Vergleich für den Vergleichsmehrwert nur eine 1,0-Einigungsgebühr (statt einer 1,5 Gebühr) verlangen könne. Begründung: Das Arbeitsgericht habe ja immer auch noch über die Prozesskostenhilfebewilligung bzw. die Erstreckung der bereits bewilligten Prozesskostenhilfe auf den Mehrvergleich zu entscheiden und damit sei stets (!) eine Verfahrensanhängigkeit gegeben.
Wie N. Schneider (ZAP 2021, 1051) hierzu zutreffend schrieb, ließ sich die Verminderung der Einigungsgebühr eigentlich rechtlich noch nie wirklich begründen. Ausschlaggebend für die abwegige Auffassung der Minderung der Einigungsgebühr waren wohl eher fiskalische Interessen. Und manche bayerischen Gerichte wollten einfach einem Anwalt nicht auf Kosten der Landeskasse die 1,5-Einigungsgebühr des Mehrvergleichs zugestehen.
Als dann der Gesetzgeber mit dem Kostenrechtänderungsgesetz 2021 die Vorschriften des § 48 Abs. 1 RVG und der Anm. Abs. 1 zu Nr. 1003 VV RVG geändert hatte, war eigentlich – gesamtdeutsch – klargestellt, dass eine Ermäßigung der Einigungsgebühr „wegen Anhängigkeit” nicht eintritt, soweit lediglich Prozesskostenhilfe für die gerichtliche Protokollierung des Vergleichs beantragt wird (vgl. Reckin/N. Schneider, AnwBl Online 2021, 89 ff.).
Zunächst hatte es dann auch den Anschein, als sei man auch im „Gerichtsbezirk” Bayern aufgewacht. Zumindest hatte das Landesarbeitsgericht Nürnberg sich den neuen Gesetzestext im RVG einmal genauer angesehen und unter Hinweis auf die Gesetzeslage seine Rechtsprechung zur Einigungsgebühr geändert (LAG Nürnberg, Beschl. v. 26.7.2021 – 3 Ta 68/21).
Doch Franken ist, wie man ja weiß, nicht Bayern, und in München drehen sich die Uhren seit jeher noch anders. Die 6. Kammer des Landesarbeitsgerichts München sah trotz Neufassung des RVG überhaupt keine Veranlassung, sich der Gesetzeslage anzupassen. Zuletzt noch im Dezember 2021 lehnte das Landesarbeitsgericht München unter Zitierung seiner umfangreichen, aber nunmehr solitären Rechtsprechung (u.a. LAG München, Beschl. v. 7.3.2016 – 6 Ta 283/15 n.v.; LAG München, Beschl. v. 2.11.2016 – 6 Ta 287/16, NZA-RR 2017, 272; LAG München, Beschl. v. 19.6.2017 – 6 Ta 123/17 und 6 Ta 167/17 n.v.; LAG München, Beschl. v. 29.8.2018 – 6 Ta 133/18 n.v.; LAG München, Beschl. v. 24.11.2021 – 6 Ta 182/21 n.v.; LAG München, Beschl. v. 28.11.2021 – 6 Ta 240/21, sic!) die Festsetzung der 1,5 Gebühr für den Mehrvergleich ab. Der Antrag, die Bewilligung der Prozesskostenhilfe auf einen bereits vorher getätigten Vergleichsabschluss zu erstrecken, schließe eine Einigungsgebühr von 1,5 aus. Basta! (LAG München, Beschl. v. 9.12.2021 – 6 Ta 249/21)
Und nun das Wunder! Der Kollege und ZAP-Leser Rechtsanwalt Christoph R. aus Passau hat es mir freundlicher- und dankenswerterweise mit folgenden Zeilen zur Kenntnis gebracht, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte:
Zitat
„Sehr geehrter Herr Kollege Ponetsmüller, vor einiger Zeit stieß ich auf Ihre Kolumne in der ZAP vom 22.8.2018 und merkte Ihnen den Frust hinsichtlich der eigenartigen Beharrlichkeit des LAG München in Bezug auf die 1,0 Einigungsgebühr bei Mehrwertvergleich im Rahmen der PKH-Bewilligung an. Nun habe ich endlich, nach Wechsel des in den Ruhestand getretenen Dr. K. eine Entscheidung der 11. Kammer erzielen können, die uns beide und viele weitere arbeitsrechtlich tätige PKH-Kollegen wohl frohlocken lassen dürfte, da nun doch endlich auch in Südbayern eine 1,5 Einigungsgebühr gewährt wird. Anbei die Entscheidung des LAG München vom 15.2.2023 zur Kenntnisnahme (...).
Die entscheidenden Worte aus der Entscheidung: „An der bisherigen Ansicht des LAG München zur Höhe der Einigungsgebühr bezüglich des Mehrwerts eines Vergleichs wird nicht mehr festgehalten” (LAG München, Beschl. v. 15.2.2023 –11 Ta 28/23).
Mirabile dictu: Rente gut, alles gut! Hosianna!
ZAP F., S. 417–418
Rechtsanwalt Bernd Ponetsmüller, München