II. Die nach §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung ist unbegründet. Nach § 630g Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. Abs. 1 BGB kann im Falle des Todes des Patienten der Erbe Einsicht in die Behandlungsakten zur Wahrnehmung der vermögensrechtlichen und die nächsten Angehörigen hinsichtlich immaterieller Interessen nehmen. Nach § 630g Abs. 3 S. 3 BGB sind die Rechte allerdings ausgeschlossen, soweit der Einsichtnahme der ausdrückliche oder mutmaßliche Wille des Patienten entgegensteht (so auch die von der Klägerin zitierte Entscheidung des VG Freiburg v. 29.10.2015 – 6 K 2245/14, juris Rn 25). Letzteres ist vorliegend – anders als im soeben zitierten Fall des Verwaltungsgerichts – anzunehmen. Die Beklagte macht geltend, die verstorbene Tochter der Klägerin habe besonderen Wert darauf gelegt, dass Gesprächsnotizen der Sitzungen, deren Gegenstand die Beziehung der Patientin zu ihrer Familie und namentlich zur Mutter waren, absolut vertraulich behandelt würden. Sie habe stets zu erkennen gegeben, dass diese Inhalte keineswegs der Mutter jemals zur Kenntnis gelangen dürften. Eine solche Erklärung steht dem Begehren der Klägerin, Einsicht in die gesamte Behandlungsakte zu nehmen, um gerade diese Fragen für sich zu klären, entgegen. Wegen anderer Inhalte der Behandlungsakte hat der Arzt Dr. Sch. die Einsicht auch nicht verweigert.
1. Die von der Klägerin bestrittene Erklärung ist der Prüfung des Einsichtsbegehrens zugrunde zu legen. Zwar ist eine Beweisführung durch Zeugen nicht mehr möglich, da sowohl der Arzt als auch die Patientin verstorben sind. Es ist in der Rechtsprechung aber anerkannt, dass dem Arzt bei der Prüfung des Patientenwillens ein Ermessen zusteht, das nur begrenzt gerichtlich überprüfbar ist. Demnach ist der in Anspruch genommene Arzt gewissermaßen selbst die letzte Instanz. Die damit verbundene Missbrauchsgefahr muss wegen des hohen Stellenwerts, der dem Vertrauensschutz zukommt, grundsätzlich hingenommen werden. Allerdings muss der Arzt darlegen, dass und unter welchem allgemeinen Gesichtspunkt er sich durch die Schweigepflicht an der Offenlegung der Unterlagen gehindert sieht (vgl. BGH, Urt. v. 26.2.2013 – VI ZR 359/11, juris Rn 12; v. 31.5.1983 – VI ZR 259/81, juris Rn 20 ff.; OLG München, Urt. v. 9.10.2008 – 1 U 2500/08, juris Rn 45 ff.). Diesen Anforderungen hat der Arzt Dr. Sch. in seinem Schreiben vom 9.8.2017 (Anl. K4) genügt. So hat er differenziert dargelegt, dass die Tochter klar zu erkennen gegeben habe, Informationen nicht weiter zu geben, die das Verhältnis zu ihrer Familie, insbesondere zu ihrer Mutter betreffen.
2. Die Ermessensentscheidung ist nicht erkennbar fehlerhaft und deshalb unbeachtlich.
a) Hinweise auf ein missbräuchliches Verhalten sind nicht erkennbar. Soweit möglicherweise eigene Belange des Arztes betroffen sind, weil ihm ein Fehlverhalten vorgeworfen werden könnte, hat er entscheidende Informationen bereits preisgegeben. So legte er in seinem Schreiben vom 9.8.2017 unumwunden offen, dass die Tochter bei der letzten Sitzung nicht gesprochen habe, er eine Einweisung durchaus für erwägenswert hielt und dies aber nicht veranlasst habe, weil die Tochter gegangen sei. Angesichts dieser Schilderung besteht kein Anhalt für die Annahme, der Arzt habe durch die Verweigerung der Einsicht eigenes Fehlverhalten vertuschen wollen.
Im Übrigen ist die dargelegte Erklärung der Tochter auch nicht von vornherein als fernliegend anzusehen. Gerade bei engen familiären Verhältnissen ist es vielmehr nachvollziehbar, dass ein Patient, der diese Verhältnisse zum Gegenstand der Behandlung macht und damit einen Zusammenhang mit den behandlungsbedürftigen Beschwerden herstellt, nicht möchte, dass die betroffenen Angehörigen von dem Inhalt erfahren, zum Beispiel, weil die Schilderungen mit der vom Patienten erwarteten Haltung nicht in Einklang zu bringen sind. Insofern ist die Klägerin auch nicht als Partei zu vernehmen. Bei der Frage nach dem Willen der Tochter geht es gerade um Umstände, die die Klägerin nicht erfahren sollte und die damit ihrer Wahrnehmung nicht zugänglich sind. Nichts anderes ergibt sich aus den Telefonaten zwischen dem Arzt und der Klägerin. Insofern ist nicht erkennbar, dass dabei konkrete Gesprächsinhalte betreffend das Verhältnis zu Dritten mitgeteilt wurden.
Auch der Hinweis der Klägerin, bei Sitzungen anwesend gewesen zu sein, verhilft der Klage nicht zum Erfolg. Denn entscheidend sind gerade die Gespräche, bei denen die Verstorbene alleine bei ihrem Therapeuten war. Schließlich spricht der Zeitraum zwischen dem ersten Einsichtsersuchen vom 31.5.2017 und dem Antwortschreiben vom 9.8.2017 nicht gegen die Glaubwürdigkeit des Arztes, dem in einem so komplexen Fall wie dem Vorliegenden eine gewisse Bearbeitungs- und Überlegungsfrist zuzugestehen ist.
b) Nicht zu beanstanden ist auch die Annahme des Arztes, der Wille auf Einhaltung der Verschwiegenheitsverpflichtung gelte wegen der konkret genannten Umstände auch einschränkungslos über den Tod hinaus. Insofern ist im Einzelfall zu prüfen, ob ...