Aber der Vater meldet sich nicht mehr. Sie erreichen nur die Pflegerin. Vater würde gerade schlafen, sagt diese, habe eine schlechte Nacht gehabt. Das Essen stehe gerade auf dem Tisch, er melde sich später. Oder ist zu Besuch bei einem Freund. Wer das sei, könne sie nicht sagen. Das gehe sie nichts an – und genau betrachtet, auch nicht die Tochter oder den Freund; Vollmacht hin oder her. Der Vater dürfe doch noch selbst entscheiden, was er tut, oder? Der Arztbesuch? Musste abgesagt werden. Gibt aber einen neuen Termin.
So vergeht ein halbes Jahr. Inzwischen befürchtet die Tochter Schlimmstes. So lang hat sie nichts vom Vater selbst gehört. Im besten Fall hat die Pflegerin etwas erzählt und das auch nur, wenn die Tochter deutlich wurde. Mehrfach wurde sie vor der Tür des Vaters abgewiesen. Immer war irgendetwas. Selbst ans Telefon bekommt sie ihn nicht. Am Anfang ging die Pflegerin ran, aber was soll das? Sie kann doch nicht einfach Vaters Telefon nehmen?
Der Tochter erklärte der Arzt, dass der vereinbarte Termin abgesagt wurde. Ja, vom Vater selbst. Am Telefon, natürlich. Dafür wollte er nicht extra kommen. Er habe keine Beschwerden und nur seine Tochter sei so erpicht auf den Arztbesuch gewesen. Er fühle sich regelrecht jung, seitdem er so gut umsorgt werde. Allerdings, berichtet der Arzt, wirkte Friedhelm am Telefon deutlich eingeschränkter als beim letzten Besuch in der Praxis. Er wird eben älter und das wächst sich nicht aus. Und ja, die Sprache sei verwaschener gewesen, Etliches habe er durcheinandergebracht. Aber all das sei kein Grund zur Sorge. Das ist so, wenn man alt wird. Alles normal.
Die Tochter ist keineswegs beruhigt, sie macht Druck, verlangt den Vater zu sehen. Und wird immer wieder abgewiesen. Das kann doch nicht wahr sein! Die Polizei kann auch nicht helfen. Die ist zwar gekommen, haben mit dem Vater gesprochen, aber der wolle sie angeblich nicht sehen. Ist das zu glauben? Seine Prinzessin will er nicht mehr sehen? Von der er nie genug haben konnte. Mit der er so gern diskutiert hat über Politik, Gott und die Welt? Einfach so weggelegt? Unmöglich! Der Freund wird sicher wissen, was zu tun ist. Schließlich ist er Jurist und hat dem Vater versprochen, die Tochter bei der Sorge zu unterstützen. Und tatsächlich: Er weiß Rat. Man hat ja eine große Vollmacht und damit alle Möglichkeiten, dieser Pflegekraft "das Handwerk zu legen". Er setzt entsprechende Schreiben auf, droht mit zivilrechtlichen Schritten gegen die Pflegerin, verlangt Auskunft und vor allem: Kontakt zum Vater und Freund!
Stattdessen bekommen beide Post von einem Anwalt, ein Unterlassungsverlangen und den Widerruf der Generalvollmachten; dazu ein Herausgabeverlangen wegen der EC-Karte, des Wohnungsschlüssels und des Schmucks der Mutter, wegen Undanks. Denn jetzt, wo sie sich nicht mehr kümmern, nie ihn besuchen, stattdessen sich am Konto bereichern, sogar vorhätten, ihn zu entmündigen, da habe er zu beiden kein Vertrauen mehr.
Die Tochter ist entsetzt. Alles falsch! Was ist denn da passiert? Wie kommt er denn zu solchen Haltungen? Unmöglich, dass er noch völlig klar bei Verstand ist. Er braucht Hilfe. Wer weiß, vielleicht sind die Medikamente nicht mehr richtig eingestellt? Man weiß ja im Grunde gar nicht mehr, wann er das letzte Mal überhaupt beim Arzt war. Jedoch nach dem Widerruf der Vollmacht kann sie gar nichts tun. Was sagt der Freund? Der ist erst einmal ratlos. Das entspricht alles nicht mehr dem, was Friedhelm wollte. Was er en detail in der Vollmacht festgehalten hatte. Möglicherweise ist Friedhelm doch schon geschäftsunfähig, was keiner wahrhaben wollte. In diesem Fall wäre der gegnerische Anwalt gar nicht wirksam mandatiert und der Widerruf der Vollmacht nicht rechtens. Aber ohne Einverständnis des Vaters, den man ja überhaupt nicht mehr zu Gesicht bekommt, kann man nichts machen. Da muss das Betreuungsgericht eingeschaltet werden.