Wie anhand des vorliegenden Falles wiederum einmal aufgezeigt wird, ist die Anrechnung einer Zuwendung auf den Pflichtteil in der jetzigen Fassung des § 2315 BGB sehr formalistisch und wenig praxisnah ausgestaltet.
In weiten Kreisen der Bevölkerung und – wie die Notwendigkeit des geführten Prozesses zeigte – auch für manche Richter ist die Unterscheidung zwischen "Anrechnung auf den Erbteil bzw. Erbanteil" und "Anrechnung auf den Pflichtteil" offensichtlich schwierig.
Eine "Anrechnung auf den Erbteil bzw. Erbanteil" kennt das deutsche Erbrecht mit dieser Formulierung gar nicht. Im Zweifel wird in der Praxis hierin die Anordnung der Ausgleichung gem. den §§ 2050 BGB zu sehen sein. Diese findet jedoch nur unter Abkömmlingen statt und war daher für den vorliegenden Fall nicht einschlägig. Eine Auslegung der oben genannten Formulierung über den reinen Wortlaut hinaus dahingehend, dass unmittelbar eine pflichtteilsrechtliche Wirkung beabsichtigt gewesen und dies dem Erklärungsempfänger auch bewusst geworden sei, ist nach der Rechtsprechung nur ausnahmsweise zulässig. Diese Annahme ist nur bei Vorliegen besonderer Umstände gerechtfertigt.
Darüber hinaus ist dem Rechtsunkundigen häufig nicht bekannt, dass eine Anrechnungsanordnung bereits vor oder bei der Zuwendung getroffen werden muss und später nur in notariell beurkundungspflichtiger Form nachgeholt werden könnte. Die spätere Anordnung käme einem Pflichtteilsverzicht gleich und wäre deshalb nur in der für den Pflichtteilsverzicht vorgeschriebenen Form, gemäß den §§ 2346 Abs. 2, 2348 BGB möglich.
Die Beweislast für die wirksame Anrechnungsbestimmung bzw. das Vorliegen besonderer Umstände, die eine Pflichtteilsanrechnung rechtfertigen, trägt der Erbe.
Im Rahmen der geplanten Erbrechtsform ist eine nachträgliche einseitige Anrechnungsmöglichkeit durch Verfügung von Todes wegen durch eine entsprechende Neufassung des § 2315 Abs. 1 BGB vorgesehen.
Dadurch soll die Testierfreiheit des Erblassers gestärkt werden. Der Erblasser kann also künftig besser auf veränderte Umstände nach der Zuwendung (veränderte Beziehung, Undank) reagieren. Andererseits bedeutet dies, dass der Pflichtteilsberechtigte künftig immer damit rechnen muss, dass der Erblasser eine zunächst anrechnungsfreie Zuwendung nachträglich zu einer anrechnungspflichtigen macht.
Wenn die Anrechnungsbestimmung bislang durch einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung vor oder bei der Zuwendung getroffen sein musste, sollte dadurch dem Pflichtteilsberechtigten die Möglichkeit der Zurückweisung eingeräumt werden. Problematisch könnte sein, dass diese Möglichkeit bei der nun vorgesehenen Neufassung des § 2315 Abs. 1 BGB nicht mehr bestehen würde. Nach dem Referentenentwurf sei eine unzumutbare Beeinträchtigung des Pflichtteilsberechtigten damit nicht verbunden. Dem Pflichtteilsberechtigten werde insgesamt seine Teilhabe am Gesamtvermögen nicht entzogen.
Er bekommt seinen Anteil aus dem Vermögen des Erblassers zeitlich gesehen nur früher und geht damit nicht leer aus. Ist die Zuwendung geringer als der Pflichtteil, so bleibt die Möglichkeit, im Erbfall den Fehlbetrag als Pflichtteilsanspruch geltend zu machen.
Dass die nachträgliche Anrechnungsbestimmung nach dem Gesetzentwurf formbedürftig gestellt wird, dient dem Schutz des Pflichtteilsberechtigten vor ansonsten übereilten Anrechnungsbestimmungen, die der Erblasser z. B. aus Verärgerung über den Pflichtteilsberechtigten treffen würde.
Für die Tätigkeit des Praktikers ist anzuraten, in Hinblick auf die zukünftige Änderung des § 2315 BGB bereits jetzt entsprechende Anrechnungsbestimmungen in letztwillige Verfügungen aufzunehmen (vgl. Bonefeld/Lange/Tanck ZErb 2007, 292).
Monika Pilz-Hönig, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Erbrecht und Steuerrecht, Konstanz