Leitsatz
1. Eine Verfügung von Todes wegen, mit der Eltern ihr behindertes, durch den Sozialhilfeträger unterstütztes Kind nur als Vorerben auf einen den Pflichtteil kaum übersteigenden Erbteil einsetzen, bei seinem Tod ein anderes Kind als Nacherben berufen (sog. Behindertentestament), verstößt nicht gegen die guten Sitten.
2. Ein von dem behinderten Kind mit seinen Eltern lebzeitig abgeschlossener Pflichtteilsverzichtsvertrag ist auch nicht im Falle des Bezuges von Sozialleistungen sittenwidrig.
OLG Köln, Urteil vom 9. Dezember 2009 – 2 U 46/09
Sachverhalt
Der Kläger nimmt den Beklagten als Erben seiner am 6. November 2006 verstorbenen Ehefrau, Frau T O., aus übergeleitetem Recht im Wege der Stufenklage auf Auskunft und Zahlung aus streitigem Pflichtteilsrecht der Tochter des Beklagten in Anspruch.
Der Kläger gewährt der lernbehinderten Tochter des Beklagten, Frau P O. (geb. 1974), die nicht unter gerichtlicher Betreuung steht, seit 1992 Eingliederungshilfe gemäß §§ 53 ff SGB XII. Im Jahre 2007 wurde die Leistung als erweiterte Hilfe nach § 19 Abs. 5 SGB XII umgestellt. Mit Bescheid vom 30. April 2008 leitete der Kläger gemäß § 93 Abs. 1 S. 1 SGB XII sowohl den Pflichtteils- als auch den Auskunftsanspruch nach § 2314 BGB der Leistungsempfängerin aus dem Erbfall nach ihrer verstorbenen Mutter über (Kopie Bl. 22 ff dGA). Derzeit fallen monatliche Kosten in Höhe von 3.000 EUR an, und die bisher aufgewendeten Beträge belaufen sich auf über 400.000 EUR. Seit November 2006 bis zum 31. Mai 2008 wurden seitens des Klägers Leistungen in Höhe von 62.717,30 EUR erbracht.
Der Beklagte lebte mit seiner Ehefrau in Zugewinngemeinschaft. Aus der Ehe gingen drei Kinder hervor. Am 6. November 2006 errichteten die Eheleute ein gemeinschaftliches Testament. Zu diesem Zweck begab sich der Notar in die Wohnung der Eheleute. Die Eheleute setzten sich in dem Ehegattentestament gegenseitig als Alleinerben, die Tochter U (geb. 1969) und den Sohn D (geb. 1977) zu je 83/200 als Schlusserben des Längstlebenden sowie die Tochter P zu 34/200 als Vorerbin ohne Befreiung von den gesetzlichen Beschränkungen des §§ 2113 ff BGB ein. Zugleich wurden Dauertestamentsvollstreckung hinsichtlich des der Tochter P anfallenden Erbteils angeordnet und der Bruder zum Testamentsvollstrecker sowie für den Fall des Todes der Tochter als Nacherbe bestimmt. Weiterhin heißt es unter anderem in der notariellen Urkunde (Urkundenrolle-Nr. V 1155/2006 Hc des Notars C; Kopie Bl 10 ff)
Zitat
Frau O. gab an, ihren Namen nicht schreiben und nicht sprechen zu können. Der Notar zog daher als Zeugen und Erklärungshelfer ... zu. Ausschlussgründe für die Mitwirkung gemäß § 26 BeurkG liegen in der Person des Zeugen und Erklärungshelfers nicht vor. Frau O. kann sich auch durch Zeichen verständlich machen. ... Der Notar überzeugte sich durch die Verhandlung von der erforderlichen Geschäfts- und Testierfähigkeit der Erblasser. Frau O. ist schwer krebskrank und nach Auskunft ihres behandelnden Arztes, des Zeugen und Erklärungshelfers ... testierfähig. ... Unsere Tochter P O. ist lernbehindert, steht jedoch nicht unter gerichtlicher Betreuung und ist auch nicht in der Geschäftsfähigkeit eingeschränkt. ...
Im Anschluss an die Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments verzichteten die Tochter P sowie ihre Geschwister durch notariell beurkundeten Pflichtteilsverzichtsvertrag auf die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen nach dem Erstversterbenden (Urkundenrolle-Nr. V 1159/2006 Hc des Notars C; Kopien Bl 16 ff dGA). Noch im Laufe des Abends des 6. November 2006 verstarb die Ehefrau des Beklagten. Die Eheleute waren Eigentümer eines im Grundbuch des AG X von E eingetragenen Grundstücks, welches mit einem Wohnhaus bebaut ist (Grundbuchauszug Bl. 36 ff dGA)
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Tochter stehe ein Pflichtteilsanspruch nach § 2303 Abs. 1 BGB iVm § 1924 BGB zu. Die Tochter sei nicht befugt gewesen, wirksam auf ihren Pflichtteil zu verzichten. Der Pflichtteilsverzichtsvertrag sei als Vertrag zu Lasten Dritter nichtig. Dem Beklagten und seiner verstorbenen Ehefrau sei bewusst gewesen, dass der Kläger nach dem Tode des Längstlebenden grundsätzlich auf Vermögenswerte zugreifen könne. Um dies zu vereiteln, seien die erbvertraglichen Regelungen getroffen sowie der Pflichtteilsverzicht nach dem Erstversterbenden erklärt worden. Aus der testamentarischen Regelung, die Tochter P als Einziges der drei Kinder als beschränkte Vorerbin einzusetzen, während die beiden anderen Kinder beschränkungslos zu Erben des Letztversterbenden berufen wurden, werde die Intention deutlich, den Zugriff des Sozialhilfeträgers auf Vermögenswerte zu verhindern. Gleiche Motivation sei für den Pflichtteilsverzicht anzunehmen. (...)
Mit Urteil vom 12. März 2009 hat das Landgericht die Klage abgewiesen (...)
Aus den Gründen
In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.
a) Der klagende Verband ist vorliegend grundsätzlich berechtigt, den hier im Wege der Stufenklage geltend gemachten Pflichtteilsanspruch der Leistungsberechtigen klageweis...