Leitsatz
Der Wille des Erblassers, die Befreiung der Vorerbin anzuordnen, muss entsprechend der allgemeinen Auslegungsregeln einer letztwilligen Verfügung zumindest andeutungsweise in der letztwilligen Verfügung zum Ausdruck kommen.
Erteilt der Erblasser der Vorerbin im Testament eine Vollmacht zur Verfügung über die Nachlasskonten, ist hierin allein noch keine ausreichende Andeutung des Willens zur Befreiung der Vorerbin zu sehen.
OLG München, Beschluss vom 13. November 2018 – 31 Wx 182/17
Sachverhalt
1. Der Erblasser, der deutscher Staatsangehöriger war, verstarb am 6.5.2015. Er war in einziger Ehe verheiratet mit der Mutter der Beteiligten zu 2 (geb. 12.3.1997) und 3 (geb. 12.8.1991). Darüber hinaus hatte er eine Tochter (= Beteiligte zu 4, geb. 22.1.2005) mit seiner Lebensgefährtin, der Beteiligten zu 1.
2. Der Erblasser errichtete am 19.11.2009 ein handschriftliches Testament mit folgendem Wortlaut:
Zitat
"Testament "
Ich (...) verfüge hiermit, daß im Falle meines Todes oder Geschäftsunfähigkeit ... (= Beteiligte zu 1) mein gesamtes Vermögen erbt. Hr. G.V. soll sich um die Auflösung und Abwicklung so kümmern, dass kein Schaden für ... (= Beteiligten zu 1) entsteht. Frau ... (= Beteiligte zu 1) soll das Vermögen für meine Kinder (...), (...) und (...) verwalten. Frau ... (= Beteiligte zu 1) erhält mit diesem Schreiben Vollmacht über alle Konten meiner Firmen und alle Privatkonten.
(Ort), 19.11.2009, Unterschrift“
3. Die Beteiligte zu 1 hatte zunächst die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als unbeschränkte Alleinerbin ausweist. Sie war der Ansicht, eine Nacherbfolge sei vom Erblasser nicht gewollt gewesen und nicht angeordnet. Das Testament sei so auszulegen, dass sie freien Zugriff auf alle Nachlasswerte haben sollte, was mit einer Vor- und Nacherbfolge nicht zu vereinbaren sei. Die Verwaltung des Vermögens für die Kinder habe lediglich den ihnen zustehenden Pflichtteil betreffen sollen, da der Erblasser habe verhindern wollen, dass seine geschiedene Ehefrau Zugriff auf die Pflichtteile erhalte. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind dem Antrag entgegen getreten. Sie sind der Auffassung, die Beteiligte zu 1 sei lediglich befreite Vorerbin, die drei Kinder des Erblassers dessen Nacherben.
Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 21.7.2016 den Antrag der Beteiligten zu 1 zurückgewiesen. Die von ihr hiergegen eingelegte Beschwerde hat die Beteiligte zu 1 nach Hinweis durch den Senat zurückgenommen.
4. Die Beteiligte zu 1 beantragte sodann die Erteilung eines Erbscheins, der sie als befreite Vorerbin und die Beteiligten zu 2, 3 und 4 als Nacherben ausweist. Sie ist der Ansicht, die Befreiung ergebe sich daraus, dass der Erblasser ihr sein gesamtes Vermögen zugewandt, ihre finanzielle Absicherung bezweckt und ihr uneingeschränkten Zugriff auf alle seine Konten eingeräumt habe. Da zum Zeitpunkt der Errichtung des Testaments die Nacherben noch minderjährig gewesen seien, sei von einem Willen des Erblassers zur Befreiung der Vorerbin auszugehen, um eine Bestellung eines Pflegers für die Nacherben zu vermeiden. Das Nachlassgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1.
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht ist das Nachlassgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für die von der Beschwerdeführerin erstrebte Erteilung eines Erbscheins deswegen nicht vorliegen, da sie von den Beschränkungen der Vorerbschaft im Sinne des § 2136 BGB nicht befreit ist.
1. Die Anordnung einer Befreiung im Sinne des § 2136 BGB setzt eine Anordnung durch letztwillige Verfügung voraus. Diese muss nicht ausdrücklich oder mit einem bestimmten Wortlaut erfolgt sein, sondern kann auch durch Anwendung der allgemeinen Auslegungsregeln ermittelt werden. Der Befreiungswille muss jedoch in der letztwilligen Verfügung irgendwie angedeutet oder versteckt sein. Ist dies der Fall, so können auch Umstände außerhalb des Testaments zur Bestimmung des Willens des Erblassers herangezogen werden. Dabei kann auch der von dem Erblasser verfolgte Zweck für die Beurteilung der Vorerbschaft herangezogen werden. Ist sein Interesse auf die Sicherung des Vorerben gerichtet, so liegt eine Befreiung nahe; liegt sein Interesse hingegen auf den Erhalt der Nachlasssubstanz, kann dies für eine Beschränkung des Vorerben sprechen (vgl. NK-Erbrecht/Gierl 5. Auflage <2018> § 2136 Rn 2 mwN).
2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze teilt der Senat die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich in dem Testament keine Anhaltspunkte für eine Willensrichtung des Erblassers finden, die zwingend den Schluss auf eine Befreiung der Beschwerdeführerin von den Beschränkungen der Vorerbschaft rechtfertigen.
a) Die von dem Erblasser verwendete Formulierung zu ihren Gunsten ("mein gesamtes Vermögen erbt") stellt entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin kein Indiz betreffend eine Befreiung im Sinne des § 2136 BGB dar. Die darin liegende Einsetzung als Alleinerbin deutet in der Laiensphäre nicht bereits zwingend auf ...