Im Folgenden wird untersucht, ob das abstrakte Prinzip bedeutungsoffener Begriffsauslegung auch vor dem Hintergrund der bürgerlich-rechtlichen Prägung des Erbschaftsteuerrechts in der Rechtspraxis eingehalten wird. Als Beispiel dient die Auslegung der Begriffe "Eigentum" und "Grundstück" in § 13 Abs. 1 Nr. 4b, 4c ErbStG durch die herrschende Meinung.
1. Der Begriff "Eigentum"
a) Wortlaut
Unter dem Wortlaut wird die Bedeutung eines Ausdrucks im allgemeinen Sprachgebrauch verstanden. Dem Wortlaut wird bei der Auslegung des Begriffs Eigentum ein hoher Stellenwert beigemessen. Der II. Senat spricht in seinen Entscheidungen davon, der Wortlaut sei "eindeutig" und im zivilrechtlichen Sinn zu verstehen. Folgerichtig prüft er die Einbeziehung anderer dinglicher Rechte nur noch im Rahmen einer teleologischen Extension, die eine planwidrige Regelungslücke voraussetzt. Zu beachten ist jedoch, dass jeder Begriff mehr oder weniger mehrdeutig ist und nur gemeinsam mit seinem Kontext und Regelungszweck verstanden werden kann (Relativität der Rechtsbegriffe). Letztlich kann die Begriffsbedeutung ohne eine Einbeziehung des Gesetzeszwecks nicht abschließend beurteilt werden. Neben dem privatrechtlichen Eigentumsverständnis existieren zahlreiche davon abweichende Verständnisse, beispielsweise in den Wirtschaftswissenschaften ("property rights"). Verfassungsrechtlich unterfällt jede privatnützige, vermögenswerte Rechtsposition dem Schutzbereich der Eigentumsgarantie (vgl. Art. 14 Abs. 1 GG). Auch im Unionsrecht (Art. 17 GRCh) und im europäischen Völkerrecht (Art. 1 1. ZP-EMRK) haben sich eigene, autonome Eigentumsbegriffe gebildet. Schließlich kennt das Steuerrecht mit § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO das sogenannte wirtschaftliche Eigentum für die Zurechnung von Wirtschaftsgütern.
Angesichts dieser Vielzahl an Bedeutungen erscheint es methodologisch fragwürdig, von einem eindeutig zivilrechtlich zu verstehenden Wortlaut auszugehen. Neben dem zivilrechtlichen überschreiten auch andere Verständnisse die Wortlautgrenze nicht. Anders als der II. Senat meint, bedarf es daher auch keiner Analogie oder extensiver Auslegung, um Anwartschaftsrechte oder Wohnungsrechte unter den Begriff "Eigentum" zu fassen. Die schlichte Anwendung des Auslegungskanons könnte zu diesem Ergebnis führen. Der Wortsinn ist mehrdeutig.
b) Systematik
Neben dem Wortlaut stützt der II. Senat seine zivilrechtsakzessorische Auslegung auch auf die Normsystematik. Aus dem Zusammenhang zwischen der Steuerbefreiung in Satz 1 und dem Wegfall der Befreiung in den Sätzen 2 und 3 bei Weiterübertragung des begünstigten Vermögens wird geschlossen, dass "Eigentum" zivilrechtlich zu verstehen sei. Dieses Argument überzeugt nicht völlig, da das Anwartschaftsrecht ebenfalls selbstständig gemäß §§ 873, 975 BGB übertragbar ist und sich daher in die Systematik der Norm einfügt. Wohnungsrechte sind allerdings nicht übertragbar (§ 1092 Abs. 1 S. 1 BGB), so dass die Systematik gegen ihre Einbeziehung spricht.
Gleichzeitig ist zu beachten, dass der Gesetzgeber in den Sätzen 2, 3 der Befreiungsnorm nicht mehr von Eigentum, sondern von begünstigten Vermögen spricht. Der Gesetzgeber verwendet also mit dem Vermögen auch einen wirtschaftlichen Begriff. Wollte er die Befreiung bewusst auf zivilrechtliches Eigentum beschränken, wäre es naheliegend gewesen, den Begriff "Eigentum" zumindest durchgehend, einheitlich zu verwenden.
c) Telos
aa) Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums
Die Steuerbefreiung für Familienheime dient zwei Zielen: "dem Schutz des gemeinsamen familiären Lebensraums [und] dem Ziel der Lenkung in Grundvermögen schon zu Zeiten des Erblassers". Das "Familiengebrauchs...