Einführung
Die in den §§ 2333 bis 2337 BGB normierte Möglichkeit des Erblassers, in eng begrenzten (Ausnahme-)Fällen dem Berechtigten den Pflichtteil zu entziehen, beschäftigt immer wieder die Obergerichte. Das Vorliegen einer verfassungsrechtlich geschützten Nähebeziehung zwischen Erblasser und Pflichtteilsberechtigtem gilt als widerlegt, wenn der Berechtigte eine Teilhabe am Nachlass nicht länger verdient. Schwere schuldhafte Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erblasser oder seiner Familie stellen die gesetzlich garantierte Mindestteilhabe am Erblasservermögen infrage. Der Pflichtteilsentziehung kommt damit eine Korrekturfunktion für diejenigen Sachverhalte zu, in denen sich die Mindestteilhabe am Nachlass als grob fehlerhaft erweisen sollte. Das Pflichtteilsentziehungsrecht ist ein Gestaltungsrecht, auf das der Erblasser nicht verzichten (§ 2302 BGB), das er aber durch Verzeihung verlieren kann (§ 2337 BGB). Damit macht der Gesetzgeber deutlich, dass er keinen Automatismus möchte, sondern eine Bestätigung der Zerstörung der persönlichen Nähebeziehung durch den Erblasser fordert.
I. Einleitung
Dem Pflichtteilsrecht liegt ein generalisierter Solidargedanke zugrunde, wonach sich typischerweise die einzelnen Familienmitglieder einander verbunden fühlen, füreinander sorgen und einander beistehen. Zwischen den Verwandten besteht ein Rechtsverhältnis mit gegenseitigen familienrechtlichen Pflichten. Die Pflichtteilsentziehungsgründe müssen daher Pflichtverstöße aufgreifen, bei deren Vorliegen die Vermutung einer engen persönlichen Verbundenheit zwischen Erblasser und dem Familienmitglied entfällt. Mit diesem Befund lässt sich grundsätzlich in Einklang bringen, dass der Gesetzgeber sich auf wenige schwerwiegende Sachverhalte beschränkt hat. Nach diesem Verständnis finden die Entziehungsgründe ihre Rechtfertigung aber nicht in einem Verwirkungs- oder Strafgedanken, wie derzeit überwiegend angenommen wird.
II. Die Pflichtteilsentziehung in der gerichtlichen Praxis
1. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen
In der Vergangenheit ist immer wieder die Frage aufgeworfen worden, ob die Pflichtteilsentziehungsgründe (noch) verfassungsgemäß sind. Als verfassungsrechtlich problematisch wurde insbesondere die Ungleichbehandlung der vorsätzlichen Misshandlung nach altem Recht eingestuft. Misshandelt der Abkömmling den Erblasser oder dessen Ehegatten, sieht das Gesetz darin einen Pflichtteilsentziehungsgrund (§ 2333 Nr. 2 BGB), während die vorsätzliche Misshandlung durch seine Eltern den Erblasser nicht zu einer Entziehung des Pflichtteils berechtigt (§ 2334 BGB). Das BVerfG hatte eine Verfassungsbeschwerde gegen die §§ 2333 ff BGB zunächst nicht zur Entscheidung angenommen.
Im April 2005 entschied das BVerfG dann aber doch, dass die Pflichtteilsentziehungsgründe des § 2333 Nr. 1 u. 2 BGB mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Für bestimmte Ausnahmefälle hat danach der Gesetzgeber von Verfassungs wegen Regelungen vorzusehen, die dem Erblasser eine Entziehung der Nachlassteilhabe des Kindes ermöglichen. Er darf dabei im Rahmen seines Gestaltungsspielraums generalisierende und typisierende Regelungen verwenden und etwa die Pflichtteilsentziehung an Tatbestandsmerkmale knüpfen, deren Vorhandensein in einem späteren Gerichtsverfahren relativ leicht nachgewiesen werden kann. Auch der Erbe kann sich vom Eintritt des Erbfalls an auf die Erbrechtsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG berufen. Der Gesetzgeber ist daher gehalten, dem Erben die rechtliche Möglichkeit einzuräumen, den gegen ihn gerichteten Pflichtteilsanspruch mit dem Hinweis auf die Pflichtteilsentziehungsgründe abzuwehren.
Die Tatsache, dass einem Pflichtteilsberechtigten wegen seiner Behinderung nicht der Pflichtteilsanspruch entzogen werden kann, um ein zum Nachlass gehörendes Unternehmen nicht zu belasten, war schon zuvor vom OLG München nicht als ein Verstoß gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG gewertet worden.