Leitsatz
Macht die Tochter aus der ersten Ehe des Erblassers gegen dessen zweite Ehefrau und Alleinerbin den Pflichtteil geltend, was letztlich zu einem Abfindungsvergleich führt, ist dessen Wirksamkeit nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein vermeintlicher nicht ehelicher Abkömmling des Erblassers später mit seinem Pflichtteilsverlangen gegen die Alleinerbin scheitert, weil er seine Abstammung nicht nachweisen kann.
OLG Koblenz, Urteil vom 28. Juni 2007 – 5 U 209/07
Sachverhalt
Die Klägerin ist die Tochter des Dr. August S., der 2004 verstarb. Sie ist aus dessen erster Ehe hervorgegangen. Nach seiner Verwitwung war Dr. August S. über 48 Jahre hinweg bis zu seinem Tod mit der Beklagten verheiratet.
1984 errichteten Dr. August S. und die Beklagte ein gemeinschaftliches Testament, in dem sich beide wechselseitig als Alleinerben einsetzten. Die Klägerin wurde neben einer Nichte und einem Neffen der Beklagten – unter dem Vorbehalt der Abstandnahme von Forderungen bei einem Vorversterben Dr. August S.’ – zu 1/2 zur Schlusserbin bestimmt.
Nach Dr. August S’s Tod machte die Klägerin gegenüber der Beklagten Pflichtteilsansprüche geltend. Sie erhob dieserhalb eine Auskunftsklage (...). Der Prozess endete 2005 mit einem Vergleich. Danach zahlte die Beklagte an die Klägerin 25.000 EUR "... zum Ausgleich sämtlicher wechselseitiger Ansprüche, seien sie eingeklagt oder nicht, bekannt oder nicht, vorhersehbar oder nicht". Zuvor hatte das Gericht unter Einschluss pflichtteilsergänzungsfähiger Verfügungen einen Nachlasswert in der Größenordnung von 200.000 EUR in den Raum gestellt.
In der vorprozessualen Auseinandersetzung war der Beklagten von den Anwälten der Klägerin schriftlich mitgeteilt worden, "dass auch der Halbbruder unserer Mandantin pflichtteilsberechtigt ist". (...) Bei dem von den Parteien angesprochenen Halbbruder handelte es sich um den 1945 geborenen Klaus G. Dieser machte nach dem Vergleichsschluss der Parteien seinerseits gegenüber der Beklagten einen Pflichtteilsanspruch iHv 25.000 EUR geltend. Damit scheiterte er jedoch, weil er seine Abstammung nicht nachweisen konnte.
Im Hinblick darauf verlangte die Klägerin von der Beklagten im vorliegenden Rechtsstreit die Zahlung weiterer 25.000 EUR nebst Zinsen und erneuerte hilfsweise das im Vorprozess verfolgte Auskunftsbegehren. Ihrer Ansicht nach kann der 2005 geschlossene gerichtliche Vergleich keinen Bestand haben, weil er an eine Pflichtteilsberechtigung nicht nur ihrer Person, sondern auch Klaus G.’s angeknüpft habe. Da dieser seine Rechte nicht verwirklichen könne, sei die Beklagte jetzt unrechtmäßig begünstigt, sodass der Vergleich wegen eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage angepasst werden müsse.
Dem ist das LG gefolgt und hat die Beklagte dem Hauptantrag gemäß – bis auf einen Teil der erhobenen Zinsforderung – zur Zahlung verurteilt. Dagegen wendet sich die Berufung der Beklagten (...).
Aus den Gründen
Das Rechtsmittel der Beklagten führt zur Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Abweisung der Klage. Der Klägerin stehen aus dem Pflichtteilsrecht nach dem Tod ihres Vaters Dr. August S. jenseits des 2005 geschlossenen Prozessvergleichs keine Ansprüche mehr gegen die Beklagte zu.
Der Vergleich schließt jegliche Nachforderung aus. Er stellt seinem klaren Wortlaut nach eine Abfindungsregelung dar, die nicht nur die seinerzeit erkennbaren, sondern ausdrücklich sämtliche und dabei auch alle nicht vorhersehbaren Ansprüche erfasst hat. Damit ist es grundsätzlich nicht angängig, über den Weg einer ergänzenden Vertragsauslegung, des Wegfalls der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB) oder eines Vergleichsirrtums (§ 779 BGB) noch irgendwelche zusätzlichen Rechte geltend zu machen (BGH NJW 1957, 1395; Habersack in MüKo, BGB, 4. Aufl., § 779 Rn 47; Marburger in Staudinger, BGB, 2002, § 779 Rn 58 f). Die Klägerin hat sich eindeutig aller über den Vergleich hinausreichenden Forderungen begeben – unabhängig davon, ob sie von den Parteien erhoben oder übersehen wurden oder ob sie überhaupt hätten bedacht werden können.
Allerdings findet sich in der Rechtsprechung die Auffassung, dass selbst eine Verzichtserklärung durch den Anspruchssteller, wie sie hier abgegeben wurde, die ergänzende Inanspruchnahme des Schuldners nicht hindert, wenn es um den Ausgleich von Schäden geht und das Festhalten des Schädigers an der Abfindungsvereinbarung gegen Treu und Glauben verstößt, weil ein krasses Missverhältnis zwischen dem erst nachträglich überschaubaren Schaden und der Abfindungssumme besteht (BGH NJW 1984, 115; BGH NJW-RR 1988, 924, 925; BGH NJW 1991, 1535; OLG Köln NJW-RR 1988, 924, 925; vgl. auch Terlau in Ermann, BGB, 11. Aufl., § 779 Rn 11). Darum handelt es sich im vorliegenden Fall jedoch nicht. Zum einen diente der Vergleichsschluss der Parteien nicht dem Ausgleich eines von der Beklagten zu verantwortenden Schadens der Klägerin, mit dessen Belastungen diese jetzt allein gelassen würde, und zum anderen kann von einer eklatant unzureichenden, nach den Geboten von Treu und Glauben nicht hinnehmbaren Abfindung d...