Leitsatz
Die Benennung sowohl des eigenen Kindes aus erster Ehe als auch des Kindes des zweiten Ehegatten zum Nacherben allein ist nicht dazu geeignet, den sicheren Schluss auf die Anordnung einer befreiten Vorerbschaft des zweiten Ehegatten zu ziehen.
Äußert der Erblasser in seinem Testament den Wunsch, sein zum Vorerben benannter Ehegatte möge noch lange leben, so ist auch hieraus kein Schluss auf eine Befreiung von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen zu ziehen, denn dieser Wunsch allein ist im Rahmen der Auslegung der letztwilligen Verfügung neutral zu werten.
OLG München, Beschluss vom 9. Januar 2019 – 31 Wx 39/18
Sachverhalt
Der in zweiter Ehe verheirate Erblasser ist am 30.12.2016 verstorben. Die erste Ehe endete durch Scheidung, aus dieser Ehe gingen die Beteiligte zu 2 (= Beschwerdeführerin) und der am Beschwerdeverfahren nicht beteiligte Sohn F.H. hervor. Die Beteiligte zu 1 ist die zweite Ehefrau des Erblassers, der Beteiligte zu 3 deren Sohn. Der Erblasser errichtete am 19.10.2015 ein Testament, in dem es auszugsweise heißt:
Zitat
"Mein Testament "
Ich G.J.H. geb. ... in M. verfüge als meinen letzten Willen folgendes;
Meine Ehefrau soll Alleinerbin werden.
Nach ihrem hoffentlich späten Ableben, soll der Besitz an V. [= Beschwerdeführerin] + R. [= Beteiligter zu 3] je zur Hälfte übergehen....
[Eigenhändige Unterschrift des Erblassers]“
Das Nachlassgericht hat am 26.5.2017 einen Erbschein erteilt, der die Beteiligte zu 1 als Vorerbin ausweist, die von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit ist. Dagegen erhob die Beteiligte zu 2 am 18.8.2017 Beschwerde. Sie ist der Ansicht, es handele sich um eine nicht befreite Vorerbschaft.
Das Nachlassgericht hat die Beschwerde gegen den erteilten Erbschein als Anregung auf Einziehung des Erbscheins behandelt und ist dieser Anregung mit Beschluss vom 11.12.2017 nicht nachgekommen. Es stützt seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, dass nicht nur die leibliche Tochter des Erblassers als Nacherbin bedacht ist, sondern auch der Sohn der zweiten Ehefrau, was dafür spreche, dass die Position der Ehefrau gestärkt werden sollte.
Dagegen richtet sich die Beschwerde vom 4.1.2018. Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einer erst teilweise abbezahlten eigengenutzten Immobilie im Wert von ca. 570.000 EUR, bei der noch ca. 185.000 EUR offen sind.
Aus den Gründen
Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg. Die Beschwerde vom 4.1.2018 ist zulässig, soweit Verfahrensgegenstand die Entscheidung des Nachlassgerichts ist, den Erbschein vom 26.5.2017 nicht einzuziehen.
Die Beschwerde ist auch begründet. Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Einziehung des Erbscheins gemäß § 2361 BGB vorliegen, weil der Erbschein vom 26.5.2017 unrichtig ist.
1. Im Ausgangspunkt ist das Nachlassgericht zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Erblasser eine Vor- und Nacherbschaft im Sinne der §§ 2100 ff BGB angeordnet hat. Allein der Umstand, dass der Erblasser seine Ehefrau im Testament vom 19.10.2015 als Alleinerbin bezeichnet hat, bedingt für sich keine Auslegung in Richtung einer Vollerbschaft (Staudinger/Avenarius BGB Neubearbeitung <2013> § 2136 Rn 18 juris). Aus der Auslegung der weiteren Verfügung wird deutlich, dass nach dem Tode der Ehefrau die Beteiligten zu 2 und 3 als Nacherben berufen sein sollen, d. h. der Erblasser ging von einem zweimaligen Anfall der Erbschaft aus (Gierl in: NK-Erbrecht 5. Auflage <2018> § 2100 Rn 18).
2. Im Gegensatz zum Nachlassgericht ist der Senat nicht davon überzeugt, dass der Erblasser die Vorerbin als befreite Vorerbin eingesetzt hat.
a) Der Regelfall der Vorerbschaft ist die nicht befreite Vorerbschaft. Es bedarf einer Anordnung des Erblassers, wenn er dem Vorerben Verfügungsbefugnisse, die über die vom Gesetz vorgesehenen hinausreichen, einräumen will.
Die Befreiung eines Vorerben muss in der letztwilligen Verfügung, durch die er berufen wird, selbst enthalten sein, eine ausdrückliche Erklärung ist jedoch nicht erforderlich. Es genügt, wenn der dahingehende Wille des Erblassers im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt, zum Ausdruck kommt. Trifft das zu, können auch sonstige, außerhalb des Testaments liegende Umstände zu dessen Auslegung herangezogen werden (vgl. etwa BGH FamRZ 1970, 192; BayObLG FamRZ 2005, 65, 67; OLG Hamm FamRZ 2011, 1331; Horn/Kroiß, Testamentsauslegung, 1. Auflage <2012> § 8 Rn 36).
Aus der Bezeichnung als Alleinerbe kann allein nicht der Schluss auf eine Befreiung gezogen werden, vielmehr verhält sich diese Formulierung neutral im Hinblick auf die Verwaltungsbefugnis (BGH FamRZ 1970, 192; BayObLGZ 1958, 303; BayObLG FamRZ 1984, 1272; Staudinger/Avenarius, aaO, Rn 18 juris).
Auch eine stillschweigende Befreiung ist denkbar (BayObLGZ 1960, 432). Sie kommt dann in Betracht, wenn der Erblasser wegen Fehlens eigener Abkömmlinge entferntere Verwandte zu Nacherben eingesetzt hat und der Vorerbe wesentlich zum Erwerb des Vermögens des Erblassers beigetragen hat (BayObLGZ 1960, 432).
D...