Leitsatz

Zur Auslegung eines privatschriftlichen Testaments, mit dem alle Verwandten von der Erbfolge ausgeschlossen wurden.

OLG Stuttgart, Beschl. v. 23.11.2020, 8 W 359/20

1 Tatbestand

I.

Die Erblasserin ist am … ledig und kinderlos verstorben. Ihre Eltern sind vorverstorben. Der Beteiligte zu 1 ist der Bruder der Erblasserin, weitere Geschwister sind nicht vorhanden.

Die Erblasserin hinterließ folgendes mit der Zeitangabe Februar 2007 versehenes, handschriftliches Testament:

"Für nach meinem Tode."

Meine letztwillige endgültige Bestimmung betr. unsere Hinterlassenschaft aus 40 Jahren entbehrungsvollen Hungerjahren:

Ausgeschlossen sind alle Verwandten und angeheirateten Verwandten!

Mutters Schwägerin … , geb. … , erbt den Nachlaß ihrer Eltern. Sie hat zwei Nachkommen, … und … , eine Angeheiratete. Die Familie … , … , war mitleidlos gegenüber unserem Vertreibungsschicksal. "Man muss doch mal vergessen können …". Eine Aussage die wir von Einheimischen, die ihre Heimat behalten haben, hören mußten, die uns schwer verletzt hat! Bis heute wissen sie nicht wie wirklich grausam Heimweh nach daheim und Sehnsucht nach den Eltern und Großeltern ausbrennen! 'Unser Leben ist eine offene Wunde sagte unsere leidgeprüfte tapfer geduldige Mutter!

Auch ausgeschlossen ist Mutters Vetter, … … , München, der schwerstverwundet beinamputiert den Krieg überlebt hat, aber von Vertriebenen- und Flüchtlingsschicksalen 'nichts weiß'. Ebenso ausgeschlossen ist seine Nachkommenschaft mit einer Angeheirateten, die seinen Nachlaß erben.

Wir wurden von den Verwandten lächerlich gemacht! Das tut sehr weh!

Ich bin im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte.

Hamburg, Februar 2007“

Unterschrift

Am 7.4.2020 stellte der Beteiligte zu 1 einen notariell beurkundeten Antrag auf Erteilung eines Erbscheins, der seine Alleinerbenstellung bezeugen soll. Er ist der Auffassung, dass der im Testament der Erblasserin angeordnete Ausschluss für ihn keine Gültigkeit haben sollte. Auch ihn habe das von der Erblasserin im Testament beschriebene Schicksal getroffen. Er habe zu seiner Schwester bis zuletzt einen guten Kontakt gepflegt.

Der Beteiligte zu 2 ist dem Erbscheinsantrag entgegengetreten und hat die Feststellung des Fiskalerbrechts gemäß §§ 1936, 1964 BGB angeregt. Er ist der Auffassung, der Ausschluss der Verwandten und damit auch des Beteiligten zu 1 im Testament sei eindeutig.

Mit Beschl. v. 9.9.2020 hat das Amtsgericht Biberach an der Riß als zuständiges Nachlassgericht die Erteilung eines Erbscheins gemäß dem Antrag des Beteiligten zu 1 vom "7.8.2020" – gemeint ist offensichtlich der Antrag vom 7.4.2020 – angekündigt und ist der Anregung, das Erbrecht des Fiskus festzustellen, nicht gefolgt.

Gegen diese ihm am 18.9.2020 zugestellte Entscheidung hat der Beteiligte zu 2 mit Telefax vom 8.10.2020 Beschwerde eingelegt, der das Amtsgericht mit Beschl. v. 26.10.2020 nicht abgeholfen hat.

2 Gründe

II.

Die gemäß §§ 352 ff., 58 ff. FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Beteiligten Ziff. 2 hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beteiligte zu 1 wurde gesetzlicher Alleinerbe der Erblasserin. Gemäß § 1938 BGB kann ein Erblasser durch ein sogenanntes Negativtestament Verwandte teilweise oder vollständig von der gesetzlichen Erbfolge ausschließen, auch ohne gleichzeitig eine positive Anordnung über die Erbfolge zu treffen. Eine solche Anordnung hat die Erblasserin mit ihrem handschriftlichen Testament vom Februar 2007 getroffen. Der Kreis der mit dieser Regelung ausgeschlossenen Verwandten ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei mit der Feststellung, die Erblasserin habe alle Verwandte enterben wollen, Zurückhaltung geboten ist, denn es besteht durchaus ein allgemeiner Erfahrungssatz dahingehend, dass ein Erblasser das Erbrecht eines Verwandten zumeist dem Erbrecht des Fiskus vorziehen wird. Der Wille zum umfassenden Ausschluss des Verwandtenerbrechts muss daher anhand der letztwilligen Verfügung feststellbar sein und darf nicht vorschnell angenommen werden (OLG Hamm FamRZ 2012, 1091).

Für die Auslegung testamentarischer Verfügungen gilt die allgemeine Vorschrift des § 133 BGB. Demnach gilt auch hier wie bei der Auslegung von Willenserklärungen allgemein, dass der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften ist. Ziel der Auslegung ist, den rechtlich geltenden Inhalt der vom Erblasser im konkreten Fall getroffenen testamentarischen Verfügungen festzustellen. Dabei geht es nicht um die Ermittlung eines von der Erklärung losgelösten Willens, sondern um die Klärung der Frage, was der Erblasser mit seinen Worten sagen wollte. Dem liegt die Erkenntnis zugrunde, dass der Sprachgebrauch nicht immer so exakt ist oder sein kann, dass der Erklärende mit seinen Worten genau das unmissverständlich wiedergibt, was er zum Ausdruck bringen wollte. Gerade deshalb ordnet § 133 BGB an, den Wortsinn der benutzten Ausdrücke unter Heranziehung aller Umstände zu "hinterfragen" (BGH, Urt. v. 7.10.1992 – IV ZR 160/91, Rn 10, juris; BGH, Urt. v. 28.1.1987 –...

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