In den vergangenen Jahren hat die praktische Bedeutung der Auskunft des Erben über den Bestand des Nachlasses durch Vorlage eines notariellen Nachlassverzeichnisses stetig zugenommen. Die steigende Anzahl an notariellen Nachlassverzeichnissen in der erbrechtlichen Praxis hat zur Folge, dass sich die Gerichte vermehrt mit Einzelfragen zum notariellen Nachlassverzeichnis beschäftigen mussten und in der erbrechtlichen Fachliteratur beinahe unzählige Veröffentlichungen erschienen sind. Soweit dabei von Literatur und Rechtsprechung die Anforderungen an ein notarielles Nachlassverzeichnis diskutiert und festgelegt wurden, standen meist der Inhalt des Auskunftsanspruchs des Pflichtteilsberechtigten sowie die konkrete Reichweite der Ermittlungspflicht des beauftragten Notars im Vordergrund.
Seltener – und dann eher im Kontext des notariellen Berufsrechts – waren die formelle und redaktionelle Gestaltung eines notariellen Nachlassverzeichnisses Gegenstand der Diskussion. Eine bestimmte Form des notariellen Nachlassverzeichnisses ist gesetzlich nicht geregelt. Insbesondere gibt es kein gesetzliches Muster, wie es der moderne Gesetzgeber an vielen anderen Stellen mittlerweile vorsieht. Im Rahmen seiner berufsrechtlichen Vorgaben hat der Notar also einen – in der Praxis sehr relevanten – Gestaltungsspielraum, den er insbesondere als Amtsperson auch im Sinne der Streitvermeidung wahrnehmen kann. Zwei Beispiele:
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In notariellen Nachlassverzeichnissen ist häufig die pauschale Formel anzutreffen, dass die Auskunft vollständig und kein Vermögen vorhanden sei, das über das angegebene hinausgehe. Dies mag aus Sicht des Notars ausreichend sein, zumal es sicher den Wünschen des Erben entspricht, möglichst wenig Informationen preiszugeben. Andererseits schafft Transparenz Vertrauen und Glaubwürdigkeit, was aus Sicht des den Pflichtteilsberechtigten vertretenden Rechtsanwalts sicher hilft, Streit über die Richtigkeit der gemachten Angaben zu verhindern. Enthält ein notarielles Nachlassverzeichnis einen (vollständigen) Katalog an konkreten Negativerklärungen zu den Ermittlungsansätzen, denen der Notar ohnehin im Rahmen seiner Ermittlungspflicht nachgehen muss, ist dies (sehr) geeignet, Streit über die Richtigkeit und Vollständigkeit der gemachten Angaben abzuwenden. Die konkrete Negativerklärung, der Verstorbene sei nach den Ermittlungen des Notars nicht selbst Miterbe einer Erbengemeinschaft gewesen oder habe nicht eine ihm zustehende Forderung erlassen, hilft dem Pflichtteilsberechtigten, das notarielle Nachlassverzeichnis als vollständig und richtig anzuerkennen. |
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Auch mit seinen konkreten Formulierungen zu dem Gang seiner Ermittlungen, zu seinen konkreten Tätigkeiten und seiner Entscheidung, warum er einem Ermittlungsansatz nachgegangen und einem anderen nicht nachgegangen ist, kann der Notar erheblich dazu beitragen, dass der Pflichtteilsberechtigte auf die Vollständigkeit und Richtigkeit des Nachlassverzeichnisses vertraut. Die im notariellen Nachlassverzeichnis vorgesehene Formulierung "Die Bank hat der Erbin mit Schreiben vom … mitgeteilt, dass weitergehende Kontoauszüge nicht recherchiert werden könnten" wirft bei einem Pflichtteilsberechtigten – nicht zu Unrecht – die Frage auf, ob dem Notar selbst das Schreiben vorlag oder ob er im Nachlassverzeichnis nur die von der Erbin gegebene Schilderung wiedergibt. Würde der Notar in einem solchen Fall konkret zum Ausdruck bringen, dass ihm das Schreiben selbst vorlag, bestünde aus Sicht des Pflichtteilsberechtigten viel weniger Grund zum Zweifel. |
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung soll ein notarielles Nachlassverzeichnis gem. § 2314 Abs. 1 S. 3 BGB eine größere Gewähr für die Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft als das Privatverzeichnis des Pflichtteilsbelasteten bieten. In der Praxis geht es dabei nicht nur um die objektive Vollständigkeit und Richtigkeit der Auskunft, sondern insbesondere auch um das Vertrauen des Pflichtteilsberechtigten auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskunft. Der beauftragte Notar hat jenseits der ihn treffenden Pflichten Möglichkeit und Gelegenheit, durch entsprechende Gestaltung des Nachlassverzeichnisses einen Beitrag zur Streitvermeidung zu erbringen.
Zerberus meint: Notare sollten diese Gelegenheit viel mehr nutzen!
ZErb 3/2022, S. 1