Jetzt ist es amtlich: Was Kenner der Materie schon lange (mehr als nur) vermutet hatten, hat der Europäische Gerichtshof eindeutig bestätigt: Die Anwendung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe für inländisches und ausländisches Vermögen im Rahmen der Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist mit der europarechtlich garantierten Kapitalverkehrsfreiheit unvereinbar. Mehr noch, auch die Abhängigkeit sachlicher Steuerbefreiungen (hier § 13 a ErbStG) von der Belegenheit des begünstigten Vermögensgegenstandes im Inland ist EU-rechtswidrig.
I. Einführung
Nach der viel beachteten "Barbier"-Entscheidung (EuGH, Urteil v. 11.12.2003, Rs. C-364/01, ZEV 2004, 74 ff), in der der EuGH erstmals die Frage, ob die Erbschaft- und Schenkungsteuer (Streitig waren hier Regelungen des niederländischen Erbschaftsteuerrechts) überhaupt einer Prüfung anhand europarechtlicher Maßstäbe zu unterziehen sei, bejaht hatte, bildet das Urteil vom 17. Januar 2008 die logische Fortsetzung des seinerzeit begonnenen Weges: Wurde zuvor noch teilweise die Auffassung vertreten, das Erbschaftsteuerrecht sei nicht an den Grundfreiheiten des EG-Vertrages zu messen, da beim Übergang des Vermögens von Todes wegen gar keine für eine Überprüfung der Vereinbarkeit mit dem EG-Vertrag erforderlichen wirtschaftlichen Bezugspunkte vorlägen (vgl. FG Düsseldorf, Urteil v. 3.7.1996, EFG 1996, 1166 ff), wurde zwischenzeitlich weniger die Anwendbarkeit des Europarechts als vielmehr seine Reichweite in Bezug auf bestimmte Regelungen des deutschen Erbschaftsteuergesetzes diskutiert (vgl. z. B. Micker/Thonemann, FAErbR 2/2006, 25 ff). Vor diesem Hintergrund war auch die Vorlage des nun entschiedenen Streitfalls an den EuGH bereits vor dem entsprechenden Beschluss des BFH von vielen erwartet worden (vgl. z. B. Halaczinsky, ErbStB 2005, 305,306; Thonemann, ZErb 2006, 66,69; Micker/Thonemann, FAErbR 2/2006, 25; offen gelassen: Neu, EFG 2005, 1449 ff).
II. Unvereinbarkeit der Differenzierung von Inlands- und Auslandsvermögen mit dem Europarecht
Der EuGH stützt die Feststellung der Unvereinbarkeit unterschiedlicher Besteuerungsfolgen allein aufgrund der Inlands- bzw. Auslandseigenschaft von Vermögensgegenständen – wie durch den Vorlagebeschluss des BFH vorgegeben – allein auf die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 56 Abs. 1 EGV. Vollkommen außer Betracht bleibt dabei die Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EGV).
1. Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 56 Abs. 1 EGV)
Kapitalverkehrsfreiheit iSv Art. 56 Abs. 1 EGV meint den freien Vermögensverkehr und damit gleichzeitig sämtliche Investitionen im Sach- oder liquides Vermögen (vgl. Sedlaczek, in: Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 56 Rn 5; Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn 895). In den Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit fallen auch Erbschaften und Schenkungen (EuGH, Urteil vom 11.12.2003, Rs. C-364/01, ZEV 2004, 74, Rn 58, 62; BFH, Beschluss v. 10.3.2005, BStBl II 2005, 370 ff; Urteil v. 21.9.2005, HFR 2006, 53/54; vgl. auch Wachter, IStR 2004, 361, 363). Dabei geht Art. 56 EGV über ein bloßes Diskriminierungsverbot deutlich hinaus. Denn erfasst werden nicht nur die Fälle, in denen ein Mitgliedsstaat die eigenen Staatsangehörigen besser behandelt als die eines anderen Mitgliedstaates. Vielmehr wird der gesamte Kapital- und Zahlungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten (als solcher) vor Beschränkungen jeglicher Art geschützt (vgl. EuGH, Urteil v. 25.7.1991, Rs. C-353/89, Slg. 1991, I-4069, Rn 15; Rs. C-766/90, Slg. 1991, I-4221, Rn 12). Dies schließt auch die Entscheidungsfreiheit (des eigenen Staatsangehörigen), in einem anderen Staat zu investieren, mit ein. Dies hat der EuGH vorliegend nachhaltig bestätigt.
2. Niederlassungsfreiheit (Art. 43–48 EGV)
Neben einem Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit verstoßen zwischen Inlands- und Auslandsvermögen differenzierende Normen des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts aber auch gegen die ebenfalls europarechtlich garantierte Niederlassungsfreiheit.
Das Diskriminierungsverbot des Art. 43 Abs. 2 EGV garantiert jeder natürlichen oder juristischen Person, in jedem anderen Mitgliedsstaat eine dauernde selbstständige Tätigkeit zu den gleichen Bedingungen ausüben zu dürfen wie ein Inländer. Niemand darf daher rechtlich daran gehindert werden, seinen Herkunftsstaat zu verlassen und seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat auszuüben (Beschränkungsverbot). Dies gilt nicht nur im Hinblick auf mögliche Diskriminierungen im ins Auge gefassten Tätigkeitsstaat, sondern auch hinsichtlich solcher im Herkunftsland.
Soweit es um Immobilienerwerbe oder Direktinvestitionen geht, sind Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit grundsätzlich parallel anzuwenden. Etwas anderes gilt lediglich bei sog. Portfolioinvestitionen, die mit keiner Niederlassung verbunden sind und daher allein durch die Kapitalverkehrsfreiheit geschützt werden (Streinz, Europarecht, 7. Aufl. 2005, Rn 897). Die Niederlassungsfreiheit gem. Art. 43 EGV kommt jedenfalls immer dann zum Tragen, wenn es um die Aufnahme und Ausübung einer selbstständigen Erwerbstätigkeit in einem anderen als dem Herkunftsland geht (Geiger, EUV-EGV, 4. Aufl. 2004, Art. 43 Rn 8; Micker/Thonemann, FAErbR 25, 26; FG München, Urteil v. 5.11.2003, EFG 2004, 41...