Leitsatz
1. Die sich aus den Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung (Sperrwirkung) ist auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar.
2. Auch wenn Trauer und Leid, die durch den Verlust eines Angehörigen entstanden sind, (noch) keine eigene Rechtsverletzung darstellen, ist eine so starke Parallelität zu den in der Rechtsprechung als Gesundheitsbeeinträchtigungen anerkannten Schockschäden anzunehmen, dass eine Gleichbehandlung beider Sachverhalte gerechtfertigt erscheint.
3. Ein Hinterbliebenengeld von 8.000 EUR ist angemessen, wenn die Verstorbene als Schwiegertochter nicht zum allerengsten Kreis der Angehörigen, der den (Ehe-)Partner und leibliche Kinder umfasst, zählte, bei denen im Regelfall der Orientierungssatz von 10.000 EUR ausgeschöpft werden kann, im konkreten Fall aber zwischen der Klägerin und der Verstorbenen ein besonders enges Verhältnis, das mit einem Mutter-Tochter-Verhältnis gleichzusetzen war, bestand.
OLG Koblenz, Urt. v. 21.12.2020 – 12 U 711/20
1 Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Hinterbliebenengeld nach dem Unfalltod ihrer, bei einem Arbeitsunfall am 14.3.2018 verstorbenen Schwiegertochter Bianca Marianne Schäfer.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld mindestens aber 8.000,00 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2019 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie die Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten für deren außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 892,02 EUR zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der Sachverhaltsdarstellung im Übrigen wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
Mit seinem am 24.4.2020 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die im vorliegenden Fall zur Anwendung kommende Haftungsbeschränkung nach §§ 104, 105 SGB VII sei auf das von der Klägerin geltend gemachte Hinterbliebenengeld im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB anwendbar. Für eine Herausnahme des in § 844 Abs. 3 BGB geregelten Hinterbliebenengeldes aus der Privilegierung der §§ 104, 105 SGB VII sei kein Raum.
Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Sie wiederholt und vertieft insoweit ihr erstinstanzliches Vorbringen und verweist insbesondere auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Zusammenhang mit der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes für einen Schockschaden (BGH, Urt. v. 6.2.2007 – VI ZR 55/06, juris). Nach ihrer Auffassung sei auch ein Anspruch auf Hinterbliebenengeld nicht gemäß §§ 104, 105 SGB VII ausgeschlossen. Die Rechtslage sei insoweit mit derjenigen bei sogenannten Schockschäden vergleichbar.
Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, ihr ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld mindestens aber 8.000,00 EUR nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.4.2019 zu zahlen,
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie die Kosten ihrer Prozessbevollmächtigten für deren außergerichtliche Tätigkeit in Höhe von 892,02 EUR zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens betonen die Beklagten ihre Auffassung, einer erfolgreichen Geltendmachung von Hinterbliebenengeld stünde vorliegend die Sperrwirkung der §§ 104, 105 SGB VII entgegen. Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6.2.2007 beziehe sich ausschließlich auf Schockschäden und sei auf den vorliegenden Sachverhalt nicht übertragbar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
2 Gründe
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat Anspruch gegen die Beklagten als Gesamtschuldner auf Zahlung von 8.000,00 EUR aus § 844 Abs. 3 BGB.
Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Verstorbene den tödlichen Arbeitsunfall als "Wie-Beschäftigte" im Sinne von § 2 Abs. 2 S. 1 SGB VII im Unternehmen des Beklagten zu 1. erlitten habe. Der Anwendungsbereich der haftungsbeschränkenden Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII wäre somit grundsätzlich eröffnet.
Anders als das Landgericht ist der Senat aber der Überzeugung, dass die sich aus den Regelungen der §§ 104, 105 SGB VII ergebende Haftungsbeschränkung (Sperrwirkung) auf Ansprüche auf Hinterbliebenengeld im Sinne von § 844 Abs. 3 BGB nicht anwendbar ist.
Entgegen der auch im Berufungsrechtszug vehement vertretenen Auffassung der Beklagten sieht der Senat nach wie vor (vgl. bereits die vorausgegangene Verfügung vom 21.8.2020) e...