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Auch nach der Reform des Betreuungsrechts zum 1.1.2023 sind Vollmachtgeber und ihre Erben keineswegs so sicher wie sie vielleicht glauben. Wer über ein wenig emotionale Geschicklichkeit und zugleich über die nötige kriminelle Energie verfügt, findet weiterhin ein reiches Betätigungsfeld für den lukrativen Missbrauch von Vorsorgevollmachten.
A. Einführung
Der Missbrauch von Vorsorgevollmachten ist ein verdrängtes und auch durch die Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023 (Reform 2023) nicht gelöstes Problem. Nach einem Erfahrungsbericht aus der Praxis im Januar-Heft dieser Zeitschrift befasst sich der folgende Beitrag mit dem Konzept der Reform 2023 und dessen Vereinbarkeit mit höherrangigem Recht. Ein späterer dritter Beitrag ist darauf angelegt, Eckpunkte für eine Problemlösung vorzuschlagen.
Der Erfahrungsbericht aus der Praxis hat einen Bias offengelegt: Bias – ein Begriff aus der englischen Wissenschaftssprache – bezeichnet das Phänomen subjektiver Wahrnehmungsverzerrung bei der Bewertung objektiver Tatsachen. Einer solchen Wahrnehmungsverzerrung unterliegt, wer noch im Jahr 2021 allen Ernstes und mit wissenschaftlichem Anspruch behauptet, "eine überproportionale Zunahme von Missbrauchsfällen" sei "nicht feststellbar". Tatsächlich genügen schon wenige Internet-Klicks, um eine beliebige Menge an Fallbeispielen, sei es aus medialer Berichterstattung, sei es aus Anwalts- und Gerichtspraxis, aufzufinden.
Diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen, ist keine Frage des Könnens, sondern eine Frage des Wollens. Und an diesem Wollen – sogar auf verantwortlicher Ebene – muss man wohl zweifeln, wenn man bundesweite Statistik zu gesetzlicher bzw. vertraglicher Betreuung und erst recht zum Missbrauch von Vorsorgevollmachten vergeblich sucht.
Die amtliche Betreuungsstatistik wurde – man glaubt es kaum – mit Ende des Jahres 2016 eingestellt: Rund 1,3 Mio. richterliche Betreuungsanordnungen waren damals erfasst. Sechs Jahre später verfügt selbst der Bundesverband der Berufsbetreuer nicht über aktuellere Zahlen zur gesetzlichen Betreuung. Nur die sog. Richterstatistik, die in Arbeitskraftanteilen (AK) geführt wird, gibt einen deutlichen Hinweis auf die Realität: Per 31.12.2020 mussten rund 1.060 von 1.266 richterlichen AK-Anteilen in der freiwilligen Gerichtsbarkeit, also rund 84 Prozent, auf Betreuungs- und Unterbringungssachen verwendet werden.
Womöglich noch lückenhafter als bei der gesetzlichen ist die Datenlage bei der vertraglichen Betreuung: Zwar weiß man, dass die Bundesnotarkammer bis zum 30.9.2022 rund 5,7 Mio. Vollmachten in ihr Zentrales Vorsorgeregister eingetragen hat. Für die "große Zahl nicht eingetragener Vorsorgevollmachten", die schon dem Reformgesetzgeber 2023 unbekannt war, ist mit dieser Information allerdings nichts gewonnen.
Ebenso bleibt unbekannt, bei wie vielen der registrierten Vollmachten der "Vorsorgefall" eingetreten ist, vertragliche Betreuungsmacht also bereits ausgeübt wird. Eben dies muss man aber wissen, wenn man nicht die sprichwörtlichen Äpfel und Birnen vergleichen will. Denn erst der Vorsorgefall ist das Gegenstück zum Betreuungsfall, d.h. zur Ausübung richterlich übertragener Betreuungsmacht.
Schon gar nicht gibt es eine Stelle, die den Missbrauch eingetragener oder nicht eingetragener Vorsorgevollmachten zentral erfassen würde. Die Erkenntnisse der Polizei Berlin lassen allerdings Schlimmes für den Moment erwarten, in dem die Daten aus anderen Bundesländern bekannt werden.
In Deutschland
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leben rund 18 Mio. Menschen im Alter zwischen 65 und >’85 Lebensjahren, davon rund 5,9 Millionen allein in ihrer Wohnung, |
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verfügen Senioren über vererbbares
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Geldvermögen von rund 597 Mrd. EUR, |
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Immobilienvermögen von rund 664 Mrd. EUR, |
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sind rund 1,8 Mio. Menschen dement, davon die meisten altersbedingt, |
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werden bis zum Jahr 2050 rund 2,4 bis 2,8 Mio. Menschen altersdement sein. |
Dies ist der Hintergrund, vor dem die Reform 2023 ihrem selbst gesetzten Anspruch gerecht werden muss: Angetreten, um die Vorgaben der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) "deutlicher im Betreuungsrecht zu verankern", steht der Gesetzgeber vor der Herausforderung, nach diesen Vorgaben unterschiedslos alle Behinderten zu schützen und dabei auch den Missbrauch von Vorsorgevollmachten nicht länger zu verdrängen. Selbst wenn man annimmt, dass nur vermögende Senioren einem Missbrauchsrisiko ausgesetzt sind, bleibt noch immer ein nach Millionen zählender Kreis potenziell gefährdeter und deshalb schutzbedürftiger Menschen.
Das Problem und die Herausforderung für den Gesetzgeber sind alles andere als neu: Schon vor 2.500 Jahren musste das Zwölftafelgesetz (459 v. Chr.) mental eingeschränkte Menschen vor dem Missbrauch von Betreuungsmacht schützen.
Wer heute den Missbrauch von Vorsorgevollmachten nicht länger verdrängen, sondern verhindern und bekämpfen will, muss hierfür ein Konzept entwickeln, das den Belastungstest besteht.