I. Höchstrichterliche Rechtsprechung

1. Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH)

Der RFH knüpfte den Verlustabzug an die Person dessen, der den Verlust erlitten hatte (vgl. insbesondere RFH-Urteil vom 7. November 1934 VI A 875/34, Steuer und Wirtschaft – StuW – 1935, Teil II, Sp. 47; vgl. ferner die allerdings Umwandlungsfälle betreffenden RFH-Urteile vom 12. Mai 1936 I A 84/36, RStBl 1936, 789; vom 19. Mai 1936 I A 107/36, RStBl 1936, 790, und vom 2. Juli 1941 VI 433/40, RStBl 1941, 658).

Im Urteil in StuW 1935, Teil II, Sp. 47 begründete der RFH seine Auffassung im Wesentlichen damit, dass "der Verlustvortrag ... grundsätzlich eine Vorschrift zur Berechnung des persönlichen Einkommens desjenigen Steuerpflichtigen (sei), der in früheren Jahren einen Verlust gehabt (habe). Die öffentlich-rechtliche Befugnis zum Verlustausgleich (könne) nicht bürgerlich-rechtlich auf andere übertragen werden. Das Recht auf den Verlustausgleich (sei) ... ein Recht, das an die Persönlichkeit desjenigen geknüpft (sei), der den Verlust erlitten (habe), und weder durch Rechtsgeschäft unter Lebenden noch von Todes wegen auf einen anderen übergehen (könne)."

2. Rechtsprechung des BFH

In seinen grundlegenden Urteilen in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386, und vom 15. März 1962 IV 177/60 (Höchstrichterliche Finanz-Rechtsprechung – HFR – 1963, 8) rückte der BFH von der Rechtsprechung des RFH ab und ging fortan von der Vererblichkeit des Verlustvortrages aus. Zur Begründung dieser Ansicht führte er in seinem Urteil in BFHE 75, 328, BStBl III 1962, 386 im Wesentlichen aus:

"Der Erbe (trete) bürgerlich-rechtlich (§ 1922 BGB) in vollem Umfange in die Rechtsstellung des Erblassers. Dies (gelte) grundsätzlich auch steuerrechtlich ... Dieser Stellung des Erben (entspreche) es, auch das Recht des Verlustabzugs auf ihn übergehen zu lassen", da sich in dessen Person die Einkunftsgrundlagen des Erblassers fortsetzten.

Im Urteil in HFR 1963, 8 (9) weist der BFH darauf hin, dass der RFH "in zu geringem Maße dem Umstand Rechnung getragen (habe), dass steuerrechtlich der Gesamtrechtsnachfolger anders als der Einzelrechtsnachfolger zu beurteilen (sei). Aus den erbrechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts (ergebe) sich, dass der Nachlass in allen seinen rechtlichen Beziehungen zum Erben kraft Gesetzes als Ganzes auf den Rechtsnachfolger (übergehe). ... Das Recht zur Inanspruchnahme des Verlustabzugs (sei) kein höchstpersönliches. Es (ergebe) sich vielmehr aus dem Zweck der Vorschrift (meint: § 10 d EStG) ..., dass sie in engstem Zusammenhang mit der betrieblichen Gewinnermittlung (stehe). Wenn Erblasser und Erbe bei der Gewinnermittlung wie ein und dieselbe Person behandelt (würden), so (sei) diese Folgerung auch bei der Anwendung des Verlustabzugs gerechtfertigt. Dies (werde) besonders bei der Behandlung der stillen Reserven deutlich. Denn der Gesamtrechtsnachfolger, der die Buchwerte (weiterführe, müsse) stille Reserven, die sich bei seinem Rechtsvorgänger gebildet (hätten), bei der späteren Auflösung versteuern. Dieser Belastung (müsse) die Entlastung durch das Recht zur Vornahme des Verlustabzugs entsprechen."

An dieser Rechtsprechung hat der BFH in der Folgezeit festgehalten (vgl. z.B. Urteile vom 17. Mai 1972 I R 126/70, BFHE 105, 483, BStBl II 1972, 621; vom 10. April 1973 VIII R 132/70, BFHE 109, 342, BStBl II 1973, 679; in BFHE 129, 262, BStBl II 1980, 188; in BFHE 195, 328, BStBl II 2002, 487; Beschluss vom 22. Oktober 2003 I ER-S-1/03, BFHE 203, 496, BStBl II 2004, 414).

Ergänzend wird auf die Darstellung der bisherigen Rechtsprechung des BFH im Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262 (unter B. I. 2.) Bezug genommen.

II. Äußerungen im Schrifttum

Ein Teil der Literatur pflichtet der bisherigen Rechtsprechung des BFH bei. Der überwiegende Teil des Schrifttums steht ihr indessen kritisch und ablehnend gegenüber. Insoweit wird auf die zahlreichen Nachweise (pro und contra) im Vorlagebeschluss in BFHE 207, 404, BStBl II 2005, 262 (unter B. II.) verwiesen.

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