Die Besonderheiten der Situation älterer Erblasser müssen sich auch in der Beratung und Gestaltung letztwilliger Verfügungen niederschlagen. Üblicherweise angeratene und gewählte Gestaltungen sind daher auf ihre Anwendbarkeit bei älteren Menschen zu überprüfen. Zudem sind die besonderen Bedürfnisse zu hinterfragen, die nach Möglichkeit in der letztwilligen Verfügung ihren Niederschlag finden sollen. Dabei geht es nicht nur um Fragen der Beerdigung oder der Grabpflege. Im Folgenden soll nur auf einige Aspekte eingegangen werden, die bei der Beratung und Gestaltung letztwilliger Verfügungen älterer Menschen eine Rolle spielen können.
1. Die Gefahr altersbedingter Geschäftsunfähigkeit und Erbrecht
Ist festzustellen, dass der Wunsch älterer Menschen nicht mehr stets dahin gehen wird, eine gegenseitige Erbeinsetzung vorzunehmen, würde dies die Forderung nach einem Angebot für besondere Gestaltungen allein nicht rechtfertigen. An die Stelle der gegenseitigen Erbeinsetzung würde dann eben die Einsetzung eines oder mehrerer Abkömmlinge treten. Die sich ändernden Vorstellungen beruhen bei älteren Menschen, wie bereits dargelegt, meist auf der Erkenntnis der bestehenden oder zu erwartenden mehr oder weniger großen Hilflosigkeit und der damit einhergehenden Abhängigkeit von anderen. Damit ist konkret meist eine mögliche Pflegebedürftigkeit, aber auch die Geschäftsunfähigkeit gemeint.
Die aus zivilrechtlicher Sicht größte Herausforderung der überalternden Gesellschaft und damit der Situation älterer Menschen in der Rechtsordnung ist demnach auch die statistische Zunahme der Geschäftsunfähigkeit. Während bei anderen Personengruppen ("jüngere Erblasser mit gemeinsamen Kindern") der Rat des Notars angezeigt ist, die letztwillige Verfügung von Zeit zu Zeit darauf zu überprüfen und ggf. ein abweichendes Testament zu errichten, kann sich bei älteren Menschen rasch die Gefahr des Eintritts der Testierunfähigkeit oder des Eintritts der Bindungswirkung (§§ 2270 Abs. 1, 2289 Abs. 1 BGB) verwirklichen. Eine Anpassung an geänderte Lebensumstände oder die Reaktion auf familiäre Ereignisse ist damit hier viel häufiger als bei anderen Erblassern problematisch. Im Folgenden soll weniger auf die Bindungswirkung letztwilliger Verfügungen, die es stets, hier aber unter einem besonderen Blickwinkel zu beobachten gilt, sondern auf die Folgen der Geschäftsunfähigkeit eines Erblassers eingegangen werden.
Der Gesetzgeber reagiert auf die Probleme der zunehmenden Geschäftsunfähigkeit insbesondere durch die Förderung von Vorsorgevollmachten. Auch die gesetzliche Verankerung des Vorsorgeregisters in § 20 a BeurkG ist hier zu nennen. Die zunehmende Zahl von Vorsorgevollmachten wird auch in Zukunft einen Beitrag leisten, um die sich stellenden Probleme der Geschäftsunfähigkeit in der Praxis zu lösen. Dort, wo es eine Vorsorgevollmacht nicht gibt, ist ein Betreuer (§ 1896 BGB) zu bestellen, der bei den erforderlichen rechtsgeschäftlichen Handlungen mitwirkt. Mögen die sich für den geschäftsunfähigen Beteiligten (und seine Angehörigen) stellenden Probleme bei lebzeitigen Rechtsgeschäften durch die gesetzliche oder rechtsgeschäftliche Vertretung lösbar sein, so versagen diese Instrumente, wenn es um die Mitwirkung im Zusammenhang mit letztwilligen Verfügungen geht. Dies ist umso unbefriedigender, da mit zunehmendem Alter nicht nur die Geschäftsunfähigkeit statistisch zunimmt, sondern auch die Berührung mit erbrechtlichen Fragen. Die im Erbrecht zumeist geforderte Höchstpersönlichkeit der Erklärung steht einer rechtsgeschäftlichen wie einer gesetzlichen Vertretung entgegen. Aus Sicht des Gesetzgebers ist die fehlende Geschäfts- und Testierfähigkeit im Erbrecht anscheinend kein Problem, nur gelegentlich wird sie erwähnt, wie etwa in § 2282 Abs. 2 BGB für die Anfechtung erbvertraglicher Verfügungen, in § 2290 Abs. 3 BGB für die Aufhebung eines Erbvertrags und in § 2347 Abs. 1 BGB für den Erbverzichtsvertrag. Es genügt dabei in diesem Zusammenhang nicht, für andere erbrechtliche Fallgestaltungen darauf zu verweisen, dass eben eine Handlung oder Mitwirkung des Geschäftsunfähigen zu unterbleiben habe. Eine Reihe von Vorschriften des 5. Buches des BGB geht unausgesprochen davon aus, oder wird jedenfalls so ausgelegt, dass der Erblasser bis zu seinem Tode stets auch geschäftsfähig (testierfähig) sei. In ähnlicher Weise blendet die Literatur und Kautelarpraxis die Möglichkeit einer drohenden Geschäftsunfähigkeit bei erbrechtlichen Fragestellungen meist aus. So findet etwa die Möglichkeit drohender Demenz eines Ehepartners beim gemeinschaftlichen Testament oder Ehegattenerbvertrag in der Gestaltungspraxis kaum Beachtung, obwohl sich gerade hier erhebliche Auswirkungen ergeben können. Erst in jüngerer Zeit werden die Probleme der Geschäftsunfähigkeit in diesem Zusammenhang im Schrifttum aufgegriffen.