Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG 2010 wurde die Forderung nach einer stärkeren steuerlichen Befreiung erhört, wenngleich dieser Schritt im Rückblick auf die Querelen der letzten Jahrzehnte doch beinahe überraschend anmutet. Dieser plötzliche Sinneswandel lässt die Frage nach den Motiven des Gesetzgebers aufkommen. Sie werden im Folgenden anhand der Gesetzesmaterialien näher erforscht.
Sowohl der Referentenentwurf der Bundesregierung für ein JStG 2010 vom 29.3.2010 als auch der am 19.5.2010 vom Bundeskabinett beschlossene Regierungsentwurf und der am 22.6.2010 von der Bundesregierung in den Bundestag eingebrachte Gesetzesentwurf enthielten noch keinerlei Ansätze für die Einführung des § 3 Nr. 26 b EStG.
Erst die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines JStG 2010 vom 9.7.2010 sowie die zugrunde liegenden Empfehlungen der Ausschüsse vom 28.6.2010, die vom federführenden Finanzausschuss gemeinsam mit dem Ausschuss für Innere Angelegenheiten, dem Rechtsausschuss und dem Wirtschaftsausschuss erarbeitet wurden, enthielten den Vorschlag zur Einführung eines § 3 Nr. 26 b EStG in der Fassung, die letztlich auch in das Gesetz aufgenommen wurde. Allerdings war ein Inkrafttreten mit Wirkung bereits für den Veranlagungszeitraum 2010 vorgesehen.
Der Bundesrat rügt in seiner Stellungnahme unter Bezugnahme auf frühere Beschlüsse insbesondere die Tatsache, dass ein engagierter Bürger, der mehr als ein oder zwei ehrenamtliche Betreuungen im Familienkreis übernehme, einen Teil der Aufwandspauschale versteuern oder alle Einzelausgaben zum Nachweis seiner Werbungskosten festhalten müsse. Dies stehe im Widerspruch zum Charakter der Pauschale, die den Betreuern gerade den Aufwand, über jede Tätigkeit für den betreuten Menschen einen Nachweis führen zu müssen, ersparen und zur Entlastung der Gerichte und Finanzämter beitragen solle. Die bisherige einkommensteuerliche Behandlung habe dazu geführt, dass bereits etliche ehrenamtliche Betreuer ihr Amt niedergelegt hätten, da sie die Besteuerung der Aufwandsentschädigungen bzw. den Aufwand zur Führung entsprechender detaillierter Werbungskostennachweise als "unnötige Bürokratie oder sogar als Bestrafung für ihr freiwilliges Engagement" empfunden hätten.
Der Förderung dieser ehrenamtlichen Tätigkeit müsse aber angesichts der aktuellen Entwicklungen im Betreuungswesen – Anstieg von Betreuungsfällen bei gleichzeitigem Rückgang der Bereitschaft zur Übernahme von ehrenamtlichen Betreuungen – höchste Priorität eingeräumt werden, um die Länderhaushalte vor einer Kostenexplosion zu bewahren. Während die ehrenamtliche Führung einer Betreuung den Staat 323 EUR pro Jahr koste (§ 1835 a BGB, Anm. der Verfasser), können die Ausgaben für die alternative Bestellung eines Berufsbetreuers im ersten Jahr bis zu 2.970 EUR betragen. Es wird betont, dass die Einsparungen im Bereich der Berufsbetreuungen mögliche Steuermindereinnahmen, die sich aus der vorgeschlagenen Änderung von § 3 EStG ergeben könnten, um ein Vielfaches übersteigen würden, der Vorschlag zum Bürokratieabbau beitrage und vor allem ein klares Signal setze, wie wichtig dem Gesetzgeber das bürgerschaftliche Engagement für die Schwachen in unserer Gesellschaft sei. Wegen identischer Rechts- und Interessenlage seien auch ehrenamtliche Vormünder und Pfleger einzubeziehen.
Aus der am 27.8.2010 erfolgten Unterrichtung durch die Bundesregierung geht hervor, dass sich die Bundesregierung zur Überprüfung des Vorschlags zur Einführung des § 3 Nr. 26 b EStG im Rahmen ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates ohne weitere Begründung bereiterklärte. Am 28.10.2010 wurde der Entwurf des JStG 2010 im Bundestag in zweiter und dritter Lesung beraten und in der Fassung der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 27.10.2010, die die Einführung des § 3 Nr. 26 b EStG beinhaltet, angenommen. Es wurde zudem festgesetzt, dass die Neuregelung gem. § 52 Abs. 4b S. 2 EStG – abweichend von den Forderungen des Bundesrates – erst mit Wirkung für den Veranlagungszeitraum 2011 in Kraft tritt. Am 26.11.2010 erteilte der Bundesrat dem JStG 2010 in der am 28.10.2010 vom Bundestag verabschiedeten Fassung seine Zustimmung.
Bedauerlicherweise lassen sich den Gesetzesmaterialien keinerlei Anhaltspunkte dafür entnehmen, warum der Einführung des § 3 Nr. 26 b EStG letztlich zugestimmt wurde, obwohl der Bundesrat diese Gesetzesänderung mit im Wesentlichen gleichbleibender Argumentation bereits in den Vorjahren wieder und wieder gefordert hatte. Man kann über die Motive deshalb nur spekulieren: Waren die steigenden Ausgaben für Berufsbetreuer, die für die ohnehin schon stark belasteten Länderhaushalte eine immer größere Bürde darstellen, ein deutlicher Warnschuss zum Tätigwerden? War es die Tatsache, dass die Europäische Kommission 2011 zum "Europäischen Jahr der Freiwilligentätigkeit" ausgerufen hat? Oder hat sich die Hartnäckigkeit, mit der der Bundesrat dieses Anliegen seit Jahren verfolgt, ausgezahlt?
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