Leitsatz
Auch die Entwendung eines Betrags von 6.100 DM vom Erblasser kann zur Entziehung des Pflichtteils wegen eines schweren vorsätzlichen Vergehens nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB berechtigen.
Dass der Pflichtteilsberechtigte nach einem erheblichen Zeitraum in das vom Erblasser bewohnte und in seinem Eigentum stehende Haus einzieht, lässt nicht ohne Weiteres auf eine Verzeihung gem. § 2337 BGB schließen.
OLG Stuttgart, Beschluss vom 24. Januar 2019 – 19 U 80/18
Sachverhalt
Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Pflichtteilsberechtigung des Klägers nach der am 25.10.2014 verstorbenen Erblasserin F. H., dessen Enkel der Kläger ist.
Der Beklagte stellt in Abrede, dass die in § 3 des von der Erblasserin errichteten Erbvertrags vom 2.4.1992 enthaltene Pflichtteilsentziehung wirksam sei. Es heißt dort, die Erblasserin entziehe dem Kläger den Pflichtteil, denn er habe sie
"im Juli 1991 sowie am 21.3.1992 bestohlen. Beim ersten Mal hat er ein Sparbuch sowie Bargeld in Höhe von ca. 800 DM gestohlen, beim zweiten Mal Bargeld in Höhe von 6.100 DM. Der zweite Diebstahl wurde von mir bei der Polizei in L. angezeigt, das Ermittlungsverfahren läuft derzeit noch. Auch wenn er den Diebstahl nicht gesteht und aufgrund mangelnder Beweise nicht verurteilt werden kann, kommt für mich aufgrund der gegebenen Umstände kein anderer als Dieb wie A. H. in Frage".
Zitat
Wegen der erwähnten Tat vom 21.3.1992 ist der Kläger von dem Amtsgericht ... rechtskräftig zu einer Geldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 50 DM verurteilt worden.
Der Beklagte macht geltend, die Erblasserin habe ihm jedenfalls im Sinne von § 2337 BGB verziehen, insbesondere weil er in den Jahren seit 2004 in demselben Haus gewohnt habe wie die Erblasserin selbst und weil die Erblasserin und er seit dem Jahr 2006 einen gemeinsamen Haushalt geführt hätten.
Aus den Gründen
Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug ist dem Kläger zu versagen, weil seiner Berufung die Erfolgsaussicht fehlt. Das Landgericht hat seine Klage auf Feststellung der Pflichtteilsberechtigung im Ergebnis zu Recht als unbegründet abgewiesen. Dementsprechend fehlt den in zweiter Instanz erstmals gestellten weiteren Anträgen jedenfalls die erforderliche sachliche Grundlage.
I. Der Senat teilt im Ergebnis die Ansicht des Landgerichts, die im Streit stehende Entziehung des Pflichtteils des Klägers in § 3 des Erbvertrags vom 2.4.1992 sei nach § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB (bzw. nach dem – soweit hier relevant – unveränderten § 2333 Nr. 3 BGB in früher geltenden Fassungen) wirksam aufgrund des in dieser Passage des Erbvertrags in einer den Anforderungen von § 2336 Abs. 2 Satz 1 BGB genügenden Form angegebenen, von dem Kläger begangenen Diebstahls der Erblasserin gehörenden Bargelds in Höhe von 6.100 DM am 21.3.1992.
1. Zu Recht hat das Landgericht seinem Urteil zugrunde gelegt, dass der Kläger diese vorsätzliche Tat begangen hat. Sollte die Berufung das erstinstanzliche Bestreiten aufrechterhalten wollen, hätte sie damit keinen Erfolg. Der Kläger ist, was er selbst nicht in Abrede stellt, wegen dieser Tat rechtskräftig strafrechtlich verurteilt worden. Dieser Verurteilung kommt für den Entziehungstatbestand des § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB zwar keine unmittelbare tatbestandliche Relevanz zu (vgl. nur etwa MüKo-BGB/Lange, 7. Aufl., § 2333 Rn 26). Wohl aber führt sie zu einer Erhöhung der an den Kläger gestellten Darlegungsanforderungen (vgl. hierzu näher nur etwa OLG München, NJOZ 2007, 2163, 2164 f; ferner etwa auch BGH, Beschl. v. 24.1.2012 – VI ZR 132/10 – juris Tz 10; v. 25.9.2018 – VI ZR 443/16 – juris Tz 9). Diesen Anforderungen wird das Vorbringen des Klägers auch nicht ansatzweise gerecht.
2. Im Ergebnis zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass sich der Kläger durch die Begehung dieses Diebstahls vom 21.3.1992 im Sinne von § 2333 Abs. 1 Nr. 2 BGB eines schweren vorsätzlichen Vergehens schuldig gemacht hat.
a) Nach dieser Vorschrift erfordert die Pflichtteilsentziehung ein schweres Fehlverhalten. Der Tatbestand setzt Fehlverhaltensweisen des Pflichtteilsberechtigten voraus, die schwerwiegend genug sind, um von einer Unzumutbarkeit für den Erblasser ausgehen zu können, eine seinem Willen widersprechende Nachlassteilhabe des Pflichtteilsberechtigten hinzunehmen (vgl. BVerfG, NJW 2005, 1561, 1565). Ob ein vorsätzliches Vergehen ein schweres im Sinne des Tatbestandes ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, nicht etwa nach einer generalisierenden Betrachtung der Straftatbestände (vgl. nur etwa BeckOGK-BGB/Rudy, Stand: 1.12.2018, § 2333 Rn 31). Verfehlungen gegen Eigentum oder Vermögen der Eltern fallen – jedenfalls (noch weitergehend etwa LG Hagen, Urt. v. 8.2.2017 – 3 O 171/14 – juris Tz 49; dem Gericht folgend insbesondere BeckOK-BGB/Müller-Engels, Stand: 1.8.2018, § 2333 Rn 14; kritisch zur sonstigen Rechtsprechung etwa auch MüKo-BGB/Lange, 7. Aufl., § 2333 Rn 22) – dann darunter, wenn durch sie nicht nur das Eigentum und das Vermögen des Erblassers in mehr oder weniger schwerer Weise geschädigt wir...