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Mit seinem Beschl. v. 24.7.2019 – XII ZB 560/18 hat der BGH wie das OLG Frankfurt/Main die grundsätzliche Entscheidungshoheit des Dauervollstreckers bei der Thesaurierungsfrage bestätigt. Beide Entscheidungen setzen die Rechtsprechung des BGH fort, lassen aber nun explizit zwei Sonderfälle zu: bei Bedürftigkeit und nachlassbedingter Steuerlast könne der Erbe zweckgebunden die Erlösherausgabe (Nachlassnutzungen) "verlangen". Dies war im Schrifttum schon bislang nahezu einhellige Meinung, insbesondere unter Verweis auf den mutmaßlichen Erblasserwillen und zwei Urteile des Reichsgerichts aus den Jahren 1918 und 1922. Indes mussten weder der BGH noch das OLG Frankfurt auf rechtliche Begründung der beiden Ausnahmen genauer eingehen, den Gerichten genügten Verweise auf Schrifttum und Reichsgericht. Beide Gerichte mussten sich auch nicht damit befassen, welche Folge diese Ausnahme für das Ermessen des Testamentsvollstreckers konkret hat: Unter welchen Voraussetzungen hat der Erbe bei Bedürftigkeit oder nachlassbedingter Steuerlast einen "Anspruch" gegen den Nachlass auf Erlösauskehr, welche Folgen haben diese besonderen Fallgruppen für die Entscheidungshoheit und -findung des Testamentsvollstreckers? Diese Frage ist unsere Kernfrage. Sie berührt nicht nur das Grundverständnis der ordnungsgemäßen Nachlassverwaltung, sondern ist für die Praxis des Testamentsvollstreckers von hoher (Haftungs-)Bedeutung. Rechtsprechung dazu, wie der Testamentsvollstrecker mit diesen Fallgruppen im Einzelfall umgehen muss, gibt es nicht. Wir müssen daher möglichst genaue Überlegungen zu Grundfragen der ordnungsgemäßen Verwaltung bei der Dauervollstreckung anstellen, um hieraus, aber erst am Ende der allgemein-systematischen Überlegungen, konkrete Lösungsvorschläge für den Testamentsvollstrecker unterbreiten zu können. In diesem Beitrag soll und muss es deshalb um beides gehen: Wie passen diese beiden nun anerkannten Ausnahmen und ihre bisherigen Begründungsversuche durch Schrifttum und Reichsgericht mit den Grundlagen zur Thesaurierungsfrage, wie sie der BGH bisher in ständiger Rechtsprechung sieht, zusammen? Und welche Bedeutung hat die Kernfrage für die Praxis? In Teil 1 unserer Überlegungen werden wir die beiden Beschlüsse mit der bisherigen Rechtsprechung vergleichen. Denn beide Beschlüsse beziehen sich hierauf ausdrücklich.
I. Die Kernfrage und ihre rechtliche, dogmatische und praktische Bedeutung: die Beschlüsse als Präjudizien? Die bisherige Rechtsprechung im Abriss, Methodisches zum Präjudiz und das Fallbeispiel zur Rechtsfrage
1. Die Kernfrage nach der Ermessens- und Entscheidungshoheit des Testamentsvollstreckers
Unsere Kernfrage lautet: Hat der Dauervollstrecker nach den Beschlüssen von BGH und OLG Frankfurt noch die autonome und im Wege des Ermessens wahrzunehmende Entscheidungshoheit über den Nachlass, sofern der Erbe Erlöse/Nutzungen des Nachlasses beansprucht, weil der damit den eigenen Unterhalt, Unterhaltspflichten gegenüber Dritten oder nachlassbedingte Steuern bestreiten bzw. bezahlen will? Kann der Dauervollstrecker dieses Ansinnen, diesen "Anspruch", rechts- und regresssicher ablehnen mit der Begründung, dass diese zweckgebundene Zahlung aus dem Nachlass dennoch dessen ordnungsgemäßer Verwaltung widerspräche, § 2216 Abs. 1 BGB?
Auf den ersten Blick und wörtlich genommen scheinen BGH und OLG Frankfurt/Main eindeutig zu sein und dem Testamentsvollstrecker das Entscheidungs- und Ablehnungsrecht zu verwehren. Doch zeigt eine genauere rechtliche Betrachtung, dass die Dinge nicht so einfach sind: die Beschlüsse sind abzugleichen mit der gesetzlichen Systematik und einzufügen in die ständige Rechtsprechung des BGH. Denn die Beschlüsse verweisen auf die Urteile des BGH vom 4.11.1987 – IVa ZR 118/86 und vom 14.5.1986 – IVa ZR 100/84. Und diese wiederum fußen auf der Grundsatzentscheidung des BGH vom 2.10.1957, BGHZ 25, 275. Wir wollen uns unserer Frage daher zunächst über die bisherige Rechtsprechung des BGH nähern und dabei die älteste Fallgruppe im Auge behalten, die schon das Reichsgericht beschäftigte: Der bedürftige Erbe macht gegenüber dem Testamentsvollstrecker Unterhalt geltend und fordert dafür Erlöse aus dem Nachlass, der der Dauervollstreckung unterliegt.
2. Die Beschlüsse als Präjudizien? Ein erster kurzer Blick auf die Beschlüsse und die bisherige Rechtsprechung von BGH und RG
In den Urteilen vom 4.11.1987 und 14.5.1986 hat der BGH die grundsätzliche Thesaurierungsbefugnis des Testamentsvollstreckers festgeschrieben. Wir müssen uns also zunächst fragen, ob und wie die Formulierungen der beiden Beschlüsse mit dem (angeblichen) Anspruch des Erben auf Erlösauskehr z.B. für den eigenen Unterhalt zu diesen Urteilen passen – und dabei stets auch die Grundsatzentscheidung des BGH vom 2.10.1957 im Blick haben. Dies ist von zentraler Bedeutung, weil nur so über die Reichweite der beiden Beschlüsse Klarheit gewonnen werden kann: ob und inwieweit sie die künftige Rechtsprechung zu präjudizieren von Rechts wegen in der Lage sind.
Im Fall des OLG Frankfurt war die Frage der Rechtmäßigkeit der Thesaurierung Streitgegenstand. Das Gericht konnte den Fall anhand der Darlegungs- und Beweislast entscheiden und den Anspruch des Erben deshalb ablehnen (Rn 31). Die materiell-rechtliche Grundlage hierzu leitete das OLG ausführlich her (Rn 27-30) und bezieht sich bei seinen vorangehenden Ausfüh...