Es ist gesetzlich geregelt, dass das Pflichtteilsrecht des Erben entfallen kann, wenn er die familienrechtlichen Verpflichtungen gegenüber dem Erblasser oder den Familienangehörigen des Erblassers nicht im Wesentlichen erfüllt (türk. ZGB Art. 510 (b)). In diesem Zusammenhang ist es wichtig zu bestimmen, wer in diesem Kreis der Familienangehörigen zu erwähnen ist. Da die Verletzung familienrechtlicher Verpflichtungen gegen eine andere Person außer diesem Kreis dementsprechend nicht als Grundlage für die Enterbung herangezogen werden kann.
Im Gegensatz zu dem anderen Grund für die Enterbung, der in Absatz 1 desselben Artikels vorgesehen ist, wird hier der Begriff "nahe Verbundene (mirasbırakanın yakınları)" nicht verwendet. Aufgrund des Gesetzes kann daraus geschlossen werden, dass Verlobte, langjährige Partner und andere solche Personen vom Geltungsbereich dieser Bestimmung ausgenommen sind. Jedoch reicht manchmal die Auslegung des Gesetzes allein nach dem Wortlaut nicht aus, um den Zweck der Norm festzustellen.
Gerade an dieser Stelle ist es notwendig, dem Willen des Erblassers Vorrang einzuräumen. Wie bereits oben erwähnt, besteht unter den Gesetzgebern in Europa die Tendenz das Pflichtteilsrecht abzuschwächen. Außerdem bauen Personen durch soziale Beziehungen ihr eigenes Umfeld in der Regel unabhängig von der "Blutsverwandtschaft" und des "Ehegatten" auf. In diesem Zusammenhang wird es sinnvoll sein, diesen Kreis dahingehend zu bewerten, ob der Erblasser eine besondere Verbundenheit und Nähe zu ihnen empfindet oder nicht. Zum Beispiel ist die unterschiedliche Anwendung dieses Artikels auf einen Ehegatten, der die familienrechtlichen Verpflichtungen verletzt und auf einen langjährigen nichtehelichen Partner, der die gleichen Verpflichtungen verletzt, eine sehr künstliche Trennung. Denn das Wichtigste bei einer entsprechenden Verletzung ist, inwieweit die Verletzung den Erblasser betrifft und ob sie die zwischenmenschliche Bindung insoweit beeinträchtigt hat oder nicht, so dass eine Entfremdung stattfand. Aus diesem Grund wird es angemessener und fairer sein, den Umfang des Familienbegriffes unter Berücksichtigung der Bedingungen des konkreten Ereignisses umfassender zu bewerten. In dieser Hinsicht sollte der Personenkreis, der durch die Handlung des Erben verletzt werden kann, breiter angesehen werden. Neben den Blutsverwandten des Erblassers, sollte auch die Verletzung der Verpflichtungen gegenüber nahestehenden Menschen, zu denen der Erblasser eine enge Nähe empfunden hat, ausdrücklich auch eine Grundlage für die Enterbung bilden. Allerdings sei darauf hingewiesen, dass der Kassationshof in der Türkei bis jetzt keine Urteile in dieser Hinsicht getroffen hat.
Auf der anderen Seite sollte auch Artikel 8 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), der regelt, dass jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat, auch im Bereich des Erbrechts berücksichtigt werden. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte prüft auch das Vorhandensein eines "Familienlebens", indem er die engen persönlichen Bindungen zwischen den Parteien je nach der Gegebenheit des Einzelfalles bewertet. Zum Beispiel kann zunächst kein Unterschied aufgrund gesetzlicher oder biologischer Aspekte in der Beziehung zwischen der Mutter und/oder dem Vater und dem Kind gemacht werden. Darüber hinaus sollte die Verbindung zwischen i. Kindern und Großeltern, ii. Geschwistern unabhängig von ihrem Alter, iii. Familien mit Kindern (familles recomposées, patchwork families) oder unehelichen oder aufgrund Ehebruch geborenen Kindern, insbesondere in Fällen, in denen die Vaterschaft anerkannt ist und die Parteien eine enge persönliche Verbindung haben, iv. Adoptiveltern oder Pflegefamilien und Kindern, im Rahmen des Familienlebens betrachtet werden.
Andererseits ist das eheliche Leben auch ein Teil des Familienlebens und das Bestehen einer "rechtlichen" und "echten" Ehe sollte zweifelsohne in diesem Rahmen berücksichtigt werden. Aber wie ist mit den außerehelichen Partnerschaften umzgugehen? Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestimmt den Umfang des Familienbegriffs in Übereinstimmung mit dem sich im Laufe der Zeit ändernden Verhalten der europäischen Gesellschaft. Als solches wird auch das de-facto-Familienleben ordnungsgemäß innerhalb des Geltungsbereichs der Konvention als gleichberechtigt mit den Familien, die durch eine standesamtlichen Eheschließung begründet wurden, berücksichtigt. Folglich kann dieser Familenbegriff auch andere de-facto-Partnerschaften, wie zum Beispiel gleichgeschlechtliche Partnerschaften einschließen. Bei einer Entscheidung, ob eine Beziehung zum Familienleben gehört, können mehrere Faktoren wichtig sein, wie z.B. i. das Zusammenleben des Paares, ii. die Dauer der Partnerschaft und iii. der Nachweis ihrer Verbundenheit miteinander durch gemeinsame Kinder oder auf...