Leitsatz
Das Pflichtteilsentziehungsrecht wegen mangelnder Kontakte und Beziehungen kann nicht generell verneint werden. Dies würde zu einem nicht hinnehmbaren Wertungswiderspruch führen. Denn dann wäre im Falle schwerer Verfehlungen, die einen weiteren Kontakt unzumutbar erscheinen lassen, das Pflichtteilsrecht schwerer zu entziehen als bei weniger gravierendem Fehlverhalten des Abkömmlings. Der Erblasser, der sich berechtigt von seinem Abkömmling abwendet, würde sein Pflichtteilsentziehungsrecht verlieren, wenn er nicht frühzeitig und schnell genug handelt und eine entsprechende Verfügung trifft.
LG Bonn, Urteil vom 17. Februar 2009 – 18 O 144/07
Sachverhalt
Die Klägerin ist die nichteheliche Tochter des am 13. 9.2006 verstorbenen Erblassers. Die Beklagte ist die Ehefrau des Erblassers, mit dem sie einen gemeinsamen Sohn hat und in A lebte, während die Klägerin im Nachbarort bei ihrer Mutter aufwuchs.
Der Verstorbene hatte mit der Beklagten am 10.9.1991 einen notariellen Erbvertrag geschlossen, in dem sie sich gegenseitig zum Alleinerben und den gemeinsamen Sohn zum Erben des Längstlebenden einsetzten. Diesen Vertrag ergänzten sie mit notarieller Erklärung vom 10.1.2002. Darin entzog der Erblasser der Klägerin nach § 2333 BGB ihren Pflichtteil mit der Begründung, sie führe einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel. Sie habe die Familienehre durch ihre Rauschgiftdelikte und Delikte im Kfz-Bereich, maßgeblich aber durch die "Ermordung" ihres Lebensgefährten, dessen Tod sie schuldhaft herbeigeführt habe, verletzt. Von ihrer Verhaftung habe er durch Medienberichte erfahren.
Tatsächlich ist die Klägerin seit dem Jahr 1982 strafrechtlich mehrfach in Erscheinung getreten; zudem konsumierte und veräußerte sie Drogen. Verurteilt wurde sie unter anderem wegen Handels mit Betäubungsmitteln, mehrfachen Betrugs, Verkehrsunfallflucht und fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr. Im Jahr 1993 erschoss sie in Sankt Augustin ihren damaligen Lebensgefährten, ließ dessen Leiche gegen Entgelt in einem See beseitigen und floh nach der Tat ins Ausland. Im Rahmen des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens kam es auch zu mehreren polizeilichen Durchsuchungen in dem Haus des Erblassers. Die Tat wurde in der lokalen Presse umfassend thematisiert und war Gegenstand öffentlicher Diskussionen innerhalb der dörflichen Struktur des Wohnortes des Erblassers und der umliegenden Region. In zahlreichen bekannten Fernsehsendungen wurden Fotos der Klägerin unter Angabe ihres Namens veröffentlicht, wobei sie als langjährig bekannte Drogendealerin und gesuchte Mörderin bezeichnet wurde. Die Fernsehberichterstattung wurde dabei maßgeblich von dem Vater des Opfers beeinflusst. Der Erblasser selbst wurde in den Medienberichten nicht erwähnt. Es gab aber zumindest einige Personen, die von seiner Vaterschaft hinsichtlich der öffentlich wegen Mordverdachts gesuchten Klägerin wussten; nämlich die Ehefrau und der Sohn des Erblassers, der als Zeuge benannte ... sowie die Ermittlungsbeamten von Polizei und Staatsanwaltschaft.
Im Jahr 2001 wurde die Klägerin – mittlerweile Mutter eines zweijährigen Sohnes – verhaftet. Das Landgericht Bonn verurteilte sie unter dem 5.2.2002 (...) wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Der Einlassung, sie habe aus Notwehr gehandelt, war das Gericht nicht gefolgt. Mit Beschluss des Landgerichts Dortmund vom 29.7.2003 wurde sie aus dem Strafvollzug auf Bewährung entlassen und die Bewährungszeit auf drei Jahre festgesetzt. Danach ist die Klägerin strafrechtlich nicht mehr in Erscheinung getreten.
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage zunächst Auskunft über die Nachlasshöhe und sodann die Zahlung eines Pflichtteils. Zudem begehrt sie einen Ausgleich für etwaige Schenkungen des Erblassers. (...)
Aus den Gründen
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Klägerin kann von der Beklagten keine Auskunft nebst Wertermittlung verlangen, weil ihr hierfür das berechtigte Interesse fehlt. Es ist ausgeschlossen, dass die Klägerin aufgrund etwaiger Auskünfte Ansprüche hinsichtlich des Nachlasses geltend machen kann, da sie von der Erbfolge ausgeschlossen und ihr nach § 2333 Nr. 5 BGB wirksam das Pflichtteilsrecht entzogen wurde.
Die Klägerin hat einen ehrlosen und unsittlichen Lebenswandel wider den Willen des Erblassers geführt. Sie hat ausweislich des Strafurteils vom 5.2.2002, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, über Jahre hinweg regelmäßig Straftaten begangen und letztlich sich sogar eines vorsätzlichen Tötungsdelikt schuldig gemacht. Im Hinblick auf die Vielzahl der Verfehlungen und das Nachtatverhalten der Klägerin kann hier auch nicht von einer bloßen einmaligen Verfehlung ausgegangen werden. Dieses Verhalten wurde von dem Erblasser weder unterstützt noch gebilligt und erfolgte damit wider seinen Willen.
Entgegen einer früheren, möglicherweise missverständlich formulierten Entscheidung des BGH (Urteil vom 23.1.1980 – IV ZR 152/78) geht die Kammer hier nicht davon aus, dass ein Pflichtteilsentzug nach § 2333 Nr. 5 BGB nur dann möglich...