II.
Die zulässige Klage ist begründet. Die Ablehnung der Änderung des Bescheides vom 5.11.2010 durch Bescheid vom 9.11.2015 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 23.5.2016 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 101 Finanzgerichtsordnung – FGO). Der Beklagte war verpflichtet, die Erbschaftsteuerfestsetzung vom 5.11.2010 nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zu ändern und Prozesszinsen und Gerichtskosten aufgrund des vom Vater der Klägerin gegen die Stiftung geführten Verfahrens als Nachlassregelungskosten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG zu berücksichtigen.
Eine steuermindernde Berücksichtigung des Pflichtteilsergänzungsanspruchs des Vaters der Klägerin gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kommt nicht in Betracht, weil die Festsetzungsfrist insoweit im Zeitpunkt der Beantragung der Änderung bereits abgelaufen war. Die mit dem Ablauf des Jahres 2007, in dem die Erbschaftsteuererklärung abgegeben wurde, begonnene vierjährige Festsetzungsfrist endete regulär mit Ablauf des 31.12.2011 und war bezüglich der Berücksichtigung der Pflichtteilsergänzungsansprüche wegen der Vorläufigkeitserklärung gemäß § 165 Abs. 1 S. 1 AO in ihrem Ablauf gemäß § 171 Abs. 8 AO gehemmt. Diese Ablaufhemmung ist mit der Endgültigkeitserklärung durch Bescheid vom 4.8.2014 entfallen und damit insoweit Festsetzungsverjährung eingetreten. Ob die Endgültigkeitserklärung rechtmäßig war oder die Vorläufigkeitserklärung und damit die Ablaufhemmung weiter hätte aufrechterhalten werden müssen, weil das Vorliegen der letztinstanzlichen Entscheidung der liechtensteinischen Justiz und damit der Eintritt des ungewissen Ereignisses weder der Klägerin noch dem Beklagten am 4.8.2014 positiv bekannt war, ist nicht entscheidend. Insoweit hätte die Klägerin den Bescheid über die Endgültigkeitserklärung anfechten müssen.
Bezüglich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs greift auch nicht die besondere Anlaufhemmung für die Festsetzungsfrist gemäß § 175 Abs. 1 S. 2 AO, da die Bestätigung der Pflichtteilsergänzungsansprüche des Vaters der Klägerin durch die letztinstanzliche Entscheidung der liechtensteinischen Justiz entgegen der Auffassung der Klägerin kein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO darstellt.
Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Voraussetzung ist, dass das Ereignis nachträglich, nämlich nach Entstehung der Steuer und nach dem zu korrigierenden Steuerbescheid eingetreten ist (vgl. BFH, Beschl. v. 19.7.1993 – GrS 2/92, BStBl II 1993, 897; Urt. v. 6.3.2003 – XI R 13/02, BStBl II 2003, 554; Beschl. v. 5.3.2020 – II B 99/18, BFH/NV 852).
Die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch den Berechtigten ist grundsätzlich ein solches rückwirkendes Ereignis (vgl. Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk/Gebel, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Kommentar, Rn 172 zu § 10 ErbStG). Dabei ist unter Geltendmachung das ernstliche Verlangen auf Erfüllung des Pflichtteilsanspruchs zu verstehen. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Pflichtteils zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden, was auch durch mündliches oder schlüssiges Verhalten geschehen kann. Nicht erforderlich ist die Bestimmung der Höhe des geltend gemachten Anspruchs durch Urteil (vgl. dazu BFH, Urteile vom 19.7.2006 – II R 1/05, BStBl II 2006, 718, und vom 5.2.2020 – II R 1/16, ZEV 2020, 1496).
Die Ansprüche des Vaters der Klägerin waren hier bereits während des Besteuerungsverfahrens geltend gemacht und auch vom Beklagten entsprechend der dazu von der Klägerin gemachten Angaben und vorgelegten Unterlagen berücksichtigt worden. An einem nachträglich, nämlich nach Erlass des zu korrigierenden Bescheides vom 5.11.2010, eingetretenen rückwirkenden Ereignis fehlt es deshalb.
Eine Berücksichtigung der Pflichtteilsergänzungsansprüche kann auch nicht auf § 174 AO gestützt werden. Es fehlt an einer der in § 174 AO bezeichneten Kollisionslagen.
Dagegen sind die Prozesszinsen und Gerichtskosten, die in den Rechtsstreitigkeiten des Vaters der Klägerin mit der Stiftung angefallen sind, erwerbsmindernd zu berücksichtigen.
Bei diesen Aufwendungen handelt es sich der Sache nach um gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG berücksichtigungsfähige Nachlassregelungskosten. Der Senat folgt insoweit der Argumentation des Finanzgerichts Rheinland-Pfalz im Urt. v. 16.5.2013 – 4 K 2215/11 (EFG 2013, 2030).
Darüber hinaus sind die Voraussetzungen für eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung vom 5.11.2010 nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO zur Berücksichtigung der Prozesszinsen und Gerichtskosten nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall gegeben. Auch die Finanzverwaltung geht grundsätzlich davon aus, dass bei nach dem Erbfall entstandenen Aufwendungen i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG eine bestandskräftige Steuerfestsetzung gemäß § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO geändert werden kann (vgl. unter Tz. 2.4 AEAO zu § 175 AO).
Die Änderung einer Steuerfestsetzung zur ...