Leitsatz
1. Die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen durch den Berechtigten ist hinsichtlich des Abzugs des Pflichtteils als Nachlassverbindlichkeit grundsätzlich ein rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO.
2. Prozesszinsen und Gerichtskosten, die in einem Pflichtteilsverfahren anfallen, gehören zu den Nachlassregelungskosten. Für die steuermindernde Berücksichtigung der Prozesszinsen und Gerichtskosten gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG kommt es nicht auf deren Durchsetzbarkeit oder tatsächliche Zahlung an.
3. § 165 AO sperrt nicht die Anwendung von § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO, wenn dem ungewissen Ereignis bei seinem Eintritt gleichzeitig Rückwirkung zukommt.
4. Einer Änderungsbefugnis steht es nicht entgegen, dass die zu ändernde Festsetzung nach Eintritt des rückwirkenden Ereignisses gemäß § 165 Abs. 2 S. 2 AO für endgültig erklärt worden ist.
weder der Vorläufigkeitsvermerk noch seine Aufhebung durch Bescheid vom 4.8.2014 der Änderung nach § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO entgegen
FG Münster, Urt. v. 4.2.2021 – 3 K 1941/16 Erb
1 Tatbestand
I.
Streitig ist die Änderbarkeit einer Erbschaftsteuerfestsetzung zur steuermindernden Berücksichtigung von Pflichtteilsverbindlichkeiten sowie Gerichtskosten und Prozesszinsen gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 und Nr. 3 Erbschaftsteuergesetz (ErbStG).
Die Klägerin ist ausweislich des vom Amtsgericht N-Stadt am 1.6.2005 erteilten Erbscheins Alleinerbin ihres am 10./11.1.2005 verstorbenen Großvaters. Ihr laut Testament vom 30.8.2000 als Vorerbe eingesetzter Vater hatte das Erbe ausgeschlagen und machte in der Folge Pflichtteils(ergänzungs)ansprüche geltend.
Neben dem Grundbesitz C-Straße in N-Stadt bestand der Nachlass im Wesentlichen aus dem Vermögen der J-Familienstiftung (Stiftung), einer für steuerliche Zwecke transparenten Stiftung liechtensteinischen Rechts. Die vom Erblasser in diesem Zusammenhang erzielten Einkünfte sowie die Erfassung des Vermögens der Stiftung und der damit zusammenhängenden Verbindlichkeiten aufgrund der Auszahlung an Stiftungsbegünstigte im Rahmen der Erbschaftsteuer waren Gegenstand steuerstrafrechtlicher Ermittlungen.
Der Vater der Klägerin verfolgte Pflichtteilsergänzungsansprüche gegenüber der Stiftung spätestens seit dem 6.11.2006 mit Erhebung einer Stufenklage beim Landgericht in Liechtenstein, die zunächst auf Auskunftserteilung über die durch den Erblasser an die Stiftung gemachten Zuwendungen und im weiteren auf einen noch zu beziffernden Pflichtteilsergänzungsanspruch gerichtet war. Nach bezüglich des Auskunftsanspruchs zusprechender Entscheidungen im landgerichtlichen und im Berufungsverfahren machte der Vater der Klägerin schließlich Pflichtteilsergänzungsansprüche in Höhe von 1.599.453,35 EUR im Klagewege gegenüber der Stiftung geltend. Mit Urt. v. 3.8.2012 sprach das Fürstliche Landgericht ihm 1.327.839 EUR zu. Die Berufung der Stiftung beim Fürstlichen Obergericht in Vaduz (Urt. v. 14.2.2013) war ebenso wenig erfolgreich wie die von der Stiftung beim Obersten Fürstlichen Gerichtshof angebrachte Revision. Durch Urteil des Obersten Fürstlichen Gerichtshofs vom 5.7.2013 wurde die Stiftung zur Zahlung an den Vater der Klägerin in Höhe von 1.529.059,33 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2006 verurteilt. Der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde half der Staatsgerichtshof des Fürstentums Liechtenstein als Verfassungsgerichtshof nicht ab (Urt. v. 29.10.2013). (…)
Der Vater der Klägerin setzte seine ausgeurteilten Ansprüche im Wege der Zwangsvollstreckung gegenüber der Stiftung durch. Das auf einem Schweizer Bankkonto angelegte Stiftungsvermögen in Höhe von rund 1,2 Millionen EUR ist an den Vater der Klägerin ausgekehrt worden und die Stiftung infolgedessen vermögenslos (vgl. Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Fürstlichen Landgerichts vom 11.3.2014).
Am 31.5.2007 gab die Klägerin eine Erbschaftsteuererklärung ab.
Der Beklagte setzte die Erbschaftsteuer zunächst mit Bescheid vom 16.7.2009 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) auf 0 EUR fest. Durch Änderungsbescheid vom 14.4.2010 wurde die Erbschaftsteuer auf 137.408 EUR festgesetzt und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Verpflichtungen aus Pflichtteilsansprüchen des Vaters der Klägerin wurden in Höhe von 462.000 EUR berücksichtigt und in der Anlage zum Bescheid im Einzelnen erläutert. Gleichzeitig wurde die Klägerin gebeten, innerhalb von vier Wochen nach Erhalt des Bescheides Angaben zum Stand des Klageverfahrens wegen des geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs zu machen und entsprechende Unterlagen in Kopie einzureichen.
Außerdem erging die Erbschaftsteuerfestsetzung gemäß § 165 Abs. 1 AO teilweise vorläufig hinsichtlich
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"der Höhe der Nachlassverbindlichkeiten (Beerdigungs- und Steuerberatungskosten)," |
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der Höhe des Pflichtteilsanspruchs, |
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künftiger Erfüllungen der Schenkungen auf den Todesfall (Auszahlungen von Guthaben der J-Stiftung an die Begünstigten laut Stiftungsurkunde).“ |
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Weiter heißt es: "Sobald die Höhe dieser Best... |