Doch ist hier sogleich eine weitere Voraussetzung zu bedenken: Das Auslegungsergebnis über das "ob" einer Erklärung bzw. ihr Inhalt haben das zwingende Recht zu beachten und dürfen wie jede andere Erklärung nicht nichtig oder unwirksam sein. Dazu gehört als gesetzliche Grenze für die Testierfreiheit auch § 134 BGB. § 2216 BGB i.V.m. § 2220 BGB ist ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB. Denn Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschrift wollen den Schutz des Erben vor der Willkür des Testamentsvollstreckers sichern. Daher gilt die Verbotsnorm auch für Umgehungsgeschäfte. § 2220 BGB verbietet also zunächst dem Erblasser, an § 2216 BGB etwas zu ändern, egal auf welchem rechtlichen (Um)Weg. Nur innerhalb der gesetzlichen Grenzen ist der Erblasserwille maßgeblich.
Dieser Schutz vor dem Erblasser bei der Testamentserrichtung setzt sich mit und ab dem Erbfall fort. Denn auch bei der Auslegung für seine Amtsführung muss der Testamentsvollstrecker die gesetzlich zwingenden Schranken beachten. Nach Amtsantritt muss der Testamentsvollstrecker umgehend (m.E. ohne schuldhaftes Zögern) die Verfügung(en) von Todes wegen eigenverantwortlich auf deren Rechtsgültigkeit hin überprüfen. Nur so kann er seine Amtspflichten bestimmen und ordnungsgemäß erfüllen. Dabei muss der Testamentsvollstrecker die Verfügung von Todes wegen ggf. auch eigenverantwortlich auslegen, obwohl ihm die Entscheidung darüber, ob sein Verständnis von der Verfügung von Todes wegen rechtlich zutreffend ist, verwehrt ist.
Kommen dem Testamentsvollstrecker nun Zweifel, ob womöglich eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB aufgrund ergänzender Auslegung vorliegen könnte, so muss er sich auch fragen, welche rechtlich-methodischen Voraussetzungen gelten, um im Rahmen von § 2216 BGB eine planwidrige Lücke überhaupt annehmen zu können. Denn die Verbotsnorm muss beachtet und darf auch nicht umgangen werden. Daher muss der Testamentsvollstrecker versuchen, den Inhalt und Reichweite der Verbotsnorm konkret im Einzelfall zu erfassen.
Das Problem: die Verbotsnorm enthält hier zwei sich ggf. widersprechende Pflichten und Rechtsfolgenanordnungen. In § 2216 Abs. 1 BGB, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten, und in § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB, die besonderen Anordnungen des Erblassers für die Nachlassverwaltung zu befolgen. Der Testamentsvollstrecker stößt so auf folgende Fragen und Probleme:
In welchem Maße lässt die gemäß § 2220 BGB zwingende Struktur des § 2216 BGB die Anwendung der ergänzenden Auslegung überhaupt zu? Die Antwort ist zu bejahen und ergibt sich aus der Existenz des § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB. Damit erlaubt und garantiert (§ 2220 BGB) das Gesetz eine letztwillige Verfügung, die § 2216 Abs. 1 BGB bzw. seinen rechtlich-wirtschaftlichen Grundsätzen ggf. auch widersprechen kann bis hin zur Grenze der Nachlassgefährdung, § 2216 Abs. 2 S. 2 BGB. Damit ist aber noch nichts gewonnen. Denn zu klären sind nun die Struktur des § 2216 BGB und konkret das ggf. gegenläufige Verhältnis von § 2216 Abs. 1 BGB und § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB. Nur so ist es möglich, Inhalt und Reichweite der Verbotsnorm für die ergänzende Auslegung zu klären. Zwei denkbare Argumentationen und Überlegungen drängen sich hier auf:
- Ist § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber § 2216 Abs. 1 BGB die speziellere und dann vorrangige Bestimmung? Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn dies der Normzweck geböte und so die Widerspruchsfreiheit der Norm erreicht würde. Dies würde auch bedeuten, dass aus § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB als lex specialis ein Umgehungsverbot folgt. Dann wäre die Anwendung von § 2216 Abs. 1 BGB ausgeschlossen, auch wenn eine ergänzende Auslegung zum Ergebnis käme, dass es keine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB gibt. Das Gesetz enthält keine planwidrige Regelungslücke.
- Oder ist § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber § 2216 Abs. 1 BGB eine Ausnahme, die man eng auszulegen hat? Wäre in unserem Eingangsbeispiel § 2216 Abs. 1 BGB daher auch dann anzuwenden, wenn sich keine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB ermitteln lässt, der Erbe sich aber auf den mutmaßlichen Erblasserwillen beruft? Dies könnte die (verdeckte) methodische Argumentation und Lösung der h.M. sein: denn der unter Dauervollstreckung stehende Erbe, der bedürftig wird, kann für seinen Lebensunterhalt vom Testamentsvollstrecker Erlöse aus dem Nachlass verlangen, obwohl der Erblasser bei Testamentserrichtung nicht daran gedacht hat und eine Anordnung nach § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB fehlt. Der Erbe habe ein Recht auf die Erlöse, weil dies der mutmaßliche Erblasserwille (pauschal) gebiete.
Ist der Weg nach Ziffer 2. methodisch haltbar? Oder ist die umgekehrte Lösung nach Ziffer 1. zutreffend und die Überlegung und These von § 2216 Abs. 2 S. 1 BGB als lex specialis richtig?